Neben den menschlichen Tragödien, welche durch die russische Invasion in die Ukraine verursacht werden, hat diese auch Auswirkungen auf die Land- und Ernährungswirtschaft in- und ausserhalb des Landes.
Getreidepreise mit Auf und Ab
Wie bereits kurz gemeldet haben sich die Getreidepreise international unmittelbar nach dem russischen Einmarsch stark erhöht. Wie «Agrarheute» am Donnerstag meldete, sei der Preis für Weizen auf dem europäischen Markt am Mittwoch und Donnerstag um je 30 auf deren 330 Euro pro Tonne geklettert. Steigende Tendenz wurde auch für Raps vermeldet. Am Freitag sanken die Preise laut diversen Portalen wieder leicht.
Özdemir befürchtet höhere Lebensmittelpreise
Aus Deutschland werden auch Befürchtungen laut, dass die ohnehin schon hohen Düngerpreise noch weiter ansteigen und die Verfügbarkeit schlechter werden dürfte. «Die Gefahr, dass mangels Verfügbarkeit von Dünger Erntemengen zurückgehen ist gross», erklärte der deutsche Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied gegenüber «Top Agrar». Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir liess verlauten, dass er aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzung einen Anstieg der Lebensmittelpreise befürchte.
Ob sich diese Befürchtungen bewahrheiten, wird sicher auch davon abhängen, wie lange der Konflikt dauert und wie gross das Ausmass der Zerstörungen ist, die der Krieg auf dem Land verursacht.
Ritter: «Ich bin schockiert»
Der Präsident des Schweizer Bauernverbands, Markus Ritter erklärte auf Anfrage, er sei schockiert über die Entwicklungen in der Ukraine und er sorge sich um die Menschen dort. «Über allfällige Auswirkungen auf uns – in unserem sicheren Land – zu reden, finde ich nicht angebracht. Im Moment sind unsere Gedanken bei den Opfern des Krieges», so Ritter.
14 Mal so gross wie die Schweiz
Die Ukraine ist 14 Mal so gross wie die Schweiz und eine der Kornkammern der Welt. 70 Prozent der Fläche von gut 600 000 Quadratkilometern werden landwirtschaftlich bewirtschaftet. Nicht weniger als 20 Prozent der Bevölkerung sind nach wie vor im Primärsektor tätig, wobei die Spannweite zwischen einfachen Selbstversorger-Betrieben und grossflächigen Farmen - viele davon von Ausländern geführt - riesig ist.
Pro Einwohner stehen 74,3 a Ackerland zur Verfügung. In der Schweiz sind es laut einer Studie der ZHAW aus dem Jahr 2021 ganze 4,7 a pro Kopf der Bevölkerung.
Die Ukraine ist der siebtgrösste Weizen-Produzent und der fünftgrösste Exporteur weltweit. Für die Schweiz ist die Bedeutung sowohl der Ukraine wie auch von Russland für die Getreide-Importe relativ bescheiden.
Grösste Anteile bei Sojabohnen und Buchweizen
Die Importstatistik auf der Webseite von Réservesuisse, dem nationalen Pflichtlagerhalter weist für die Ukraine im vergangenen Jahr folgende Werte auf:
- Sojabohnen zur Ölgewinnung für Futterzwecke: 2840 von total 7386 Tonnen (38 %)
- Sojaöl für Futterzwecke: 27 von 6572 Tonnen (0,4 %)
- Soja-Ölkuchen: 1656 von total 248 301 Tonnen (0,67 %)
- Buchweizen für Futterzwecke: 22 von 27 Tonnen (81 %)
- Hafer für Futterzwecke: 3 von 26 117 Tonnen (0,01%)
- Sonnenblumenöl für Futterzwecke: 33 von total 74 Tonnen (45 %)
- Sonnenblumen-Ölkuchen: 3446 von total 26 125 Tonnen (13 %)
Für Ernährungszwecke wird kein Getreide aus der Ukraine importiert, dieses stammt aus anderen Quellen, dasselbe gilt für Russland.
Nestlé schliesst Werke vorübergehend
Auswirkungen hat der Krieg für die Verarbeitungsindustrie mit Schweizer Wurzeln. Nestlé hat temporär alle Werke, Lagerhäuser und Lieferketten in der Ukraine geschlossen, wie ein Sprecher gegenüber der Agentur AWP erklärte. «Die Gewährleistung der Sicherheit und des Schutzes unserer Mitarbeiter hat für uns oberste Priorität», heisst es zur Begründung. Man habe zudem alle Angestellten angewiesen, zu Hause zu bleiben und sie dazu aufgefordert, den Anweisungen der örtlichen Behörden Folge zu leisten. Nestlé beschäftigt in der Ukraine 5000 Angestellte.
FiBL zeigt sich betroffen
Tangiert vom Krieg sind neben der reinen Produktion auch viele Projekte, welche an der Weiterentwicklung der Landwirtschaft in der Ukraine arbeiten. In einem Tweet zeigte sich das Forschungsinstitut für biologischen Landbau mit Sitz im aargauischen Frick heute «schockiert und erschrocken» über die russische Invasion. Das FiBL verurteilt die Agression und betont die Unterstützung der Projektpartner und ihrer Familien.
Seco-finanzierte Projekte
Das FiBL ist seit 2005 in der Ukraine aktiv. Ziele des ersten und mittlerweile abgeschlossene Projekts war der Aufbau einer ukrainischen Zertifizierungsstelle, die Unterstützung und der Aufbau des nationalen Biomarktes und die Verbesserung des Zugangs zum internationalen Biomarkt in zwei Phasen. Dieses wurde vom eidgenössischen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) finanziert.
Aktuell engagiert sich das FiBL in einem Anschlussprojekt mit dem Namen Quality Food Trade Program, das ebenfalls vom Seco finanziert wird. Dieses beschäftigt sich erneut mit dem Biomarkt, aber auch mit dem konventionellen Milchmarkt, hier gehe es vor allem um Hygienefragen, sagt Tobias Eisenring, der am FiBL Departement für Internationale Zusammenarbeitdie Gruppe Politik- und Sektorentwicklung leitet.
Teilweise stündlich im Kontakt
Im Projekt arbeitet das FiBL auch mit hunderten von lokalen Partnern zusammen: Firmen, Dienstleister und Ministerien. Zudem hat das FiBL ein lokales Projektbüro in Kiew mit 12 lokalen Angestellten. Laut Eisenring stehe man mit diesen seit Wochen täglich und seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine teilweise stündlich in Kontakt. «Im Moment liegt der Fokus klar auf Krisenmanagement», so Eisenring, «wir versuchen, unseren Mitarbeitenden und Partnern so gut wie möglich zu helfen». Die Palette sei breit, die einen brauchten moralische Unterstützung, andere seien auf finanzielle oder anderweitige materielle Hilfe angewiesen. Eine Person sei bereits aus der Ukraine geflohen.
Laut Eisenring überlegt die Projektleitung derzeit, ob und das Projekt an die neue Situation und Bedürfnisse angepasst werden müsste: Möglich sei etwa die Direkthilfe für die wichtigsten Landwirtschaftsbetriebe. Demnächst stehen die Frühjahrssaaten auf dem Programm und die Verfügbarkeit der Produktionsfaktoren und Logistik sei sicher ein Thema. Man muss jetzt sehr rasch handeln, brauche aber auch Fingerspitzengefühl, sagt Eisenring. Angesichts des menschlichen Leids seien Landwirtschaftsfragen natürlich nicht prioritär, trotzdem sei es wichtig, die entsprechenden Fragen zu klären und kurz- sowie mittelfristige Lösungen zu finden. Die Ukraine sei ein wichtiger Lieferant von landwirtschaftlichen Rohstoffen, auch für den Biomarkt, so der FiBL-Vertreter.