Lebensmittel-Industrie: Einige Worte zu Ihrer Person, beruflichen Herkunft und Ihrer heutigen Funktion bei Möhl …
Paolo Spagnolo – Mein Name ist Paolo Spagnolo, seit 2018 nehme ich die Rolle als Geschäftsführer sowie Kurator des Schweizer Mosterei- und Brennereimuseums in Arbon am Bodensee ein. Seit nun knapp 20 Jahren bewege ich mich in der Getränkebranche, anfänglich im Softdrink-Sektor, später durfte ich dann für einen weltweit tätigen Spirituosenkonzern in verschiedenen leitenden Funktionen tätig sein. Heute beinhaltet meine Arbeit im Kern das Etablieren der Cider-Kategorie in der Schweiz. Dazu agiere ich mit meinem Team aus dem MoMö Museum heraus und versuche, durch Führungen, Verkostungen und Präsentationen so viele Leute wie möglich von den Vorzügen des fermentierten Safts, welcher in verschiedensten Formen auftritt, zu begeistern.
Wir führen das Interview im hauseigenen MoMö Museum – wie ist dieses entstanden?
Es galt nach der Jahrtausendwende zwei Themen anzugehen. Für den Neubau wurde als Gebäudehülle eine «Industrie-Schüür» konzipiert, welche sich perfekt in die Landschaft integriert. Der Neu- und Ausbau hatte einerseits das Ziel, die Lagerkapazitäten an unseren aktuellen Bedarf anzupassen. Gleichzeitig konnten wir das heutige Museum integrieren. Teile der Exponate stammen aus einem Leihvertrag mit der ZHAW in Wädenswil, der Ausbildungsstätte unserer Getränketechnologen. Die Exponate können so einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.
Bei Möhl hatten wir damals kein Know-how im Ausstellungsbereich und mussten entsprechend vieles lernen. Zusammen mit Christoph Möhl und Cara Meier, welche ihre Abschlussarbeit im Tourismusstudium dem MoMö Museum widmete, konnte ich das Konzept für das Museum mitentwickeln. Daraus entstand der Auftrag an mich, ein Team zu bilden, welches den Betrieb auf entsprechend hohem Niveau betreiben konnte. Ich konnte dabei meine Berufserfahrungen aus der Getränke- und Gastronomiebranche voll einbringen.
Das MoMö Museum soll mehr als ein «Shorley-Land» sein …
Von Anfang an drehte sich alles darum, die Vermittlung von Wissen auf unterhaltsame Weise mit Genussmomenten zu verbinden. Das war der Ausgangspunkt für den Bau eines zeitgemässen Museumsgebäudes, das sich für Schulungen und Führungen für ein vielfältiges Publikum eignet.
Das Ziel war es, mehr als eine automatisierte «Drehkreuz»-Ausstellung aufzubauen. Denn ein paar alte Maschinen anzuschauen, deckt die Bedürfnisse nicht mehr. Wir wollen Gastgeber sein, ausgehend von der Tradition – denn das Unternehmen Möhl ging ja ursprünglich aus dem Gasthof Rössli hervor, der noch heute als Wohnhaus der Familie auf dem Firmengelände genutzt wird.
Sie betonen die Bedeutung der Wissensvermittlung – was verstehen Sie darunter?
Der Faktor Wissensvermittlung nimmt eine grosse Bedeutung ein. Das Vorwissen ist im Vergleich zu anderen Produkten wie Wein, Bier oder auch Schokolade sehr klein. Oft müssen wir damit beginnen, klarzustellen: Nein, Cider wird nicht gebraut – das ist nicht «Öpfelbier».
Wir verbinden die Wissensvermittlung bewusst mit Unterhaltung und Genuss! Das Programm mit Hauptsaison von August bis November reicht mittlerweile vom Bienenhaus-Event im Frühling über das selber Mosten für Kinder im Herbst bis zum Schnaps- und Cider-Tasting für Erwachsene. Jeweils angepasst an die Zielgruppe: vom Kleinkind über Schulklassen, interessierte Vereine bis zu Fachleuten aus der Getränkebranche und «gwundrigen» Geniessern.
Sie wollen die Wahrnehmung für die ganze Branche schärfen – wie genau?
Wir investieren viel in diese Arbeit – rund 15 Mitarbeitende sind im Museum beschäftigt, bei rund 90 im Gesamtbetrieb. Wir haben realisiert, dass wir mehr bieten wollen als eine «Marken-Ausstellung» für die eigene Unternehmung. Wir sehen uns als Botschafter für die ganze Branche. Daher «missionieren» wir nicht nur im eigenen Haus, sondern zeigen beispielsweise auch an Fachevents wie «Food Zürich» Präsenz.
Wir wollen die ganze Produktkategorie weiterentwickeln und mehr bieten als ein Möhl-Familienmuseum. Daher finden in unserem Verkaufs- und Gastronomie-Sortiment selbstverständlich Möhl-Produkte, aber auch Spezialitäten kleinerer befreundeter Anbieter Platz. Unsere offene Haltung zeigt Wirkung: Einige Cider-Hersteller kommen uns regelmässig besuchen, schätzen den Austausch und feiern bei uns sogar ihre Betriebsfeiern.
Wie integrieren Sie Ihre Innovations-Ideen in die konkrete Entwicklung und Produktion?
Einer der Beweggründe für meinen Einstieg bei Möhl: Wir haben vor Ort eine kleine Micro-Anlage zur Entwicklung von Cider-Innovationen sowie eine kleine Destillieranlage für sortenreine Spirituosen. Wir können auf dieser Pilotanlage in Ruhe Neuheiten austüfteln, ohne die eigentlichen Produktionslinien in Anspruch zu nehmen. Ein grosses Potenzial besteht beispielsweise bei der sortenreinen Verarbeitung nahezu vergessener Apfel- und Birnensorten, um besondere Geschmackserlebnisse aus der Region wiederzubeleben.
Diese Anlagen stehen für eine hohe Experimentierfreudigkeit sowie eine dynamische Arbeit am Markt. Innovation sehe ich aktuell vor allem in der Verbindung der aktiven Menschen der Fachgemeinde und der Bündelung von Ressourcen, welche mich beschäftigt.
Technologisch steht bei Möhl in naher Zukunft der Bau einer neuen Abfüllanlage und der Ausbau von Lagerkapazitäten im Vordergrund.
Welche Bedeutung haben für Möhl die Zielsetzungen Regionalität und Bioqualität und Nachhaltigkeitszielsetzungen allgemein?
Das Obst und die Früchte, die wir verarbeiten, kommen alle aus der Schweiz, meistens aus einem Umkreis von 40 km, hauptsächlich aus dem Thurgau, dem Kanton St. Gallen sowie dem Appenzellerland. Das hat Tradition: Drei von vier Mostäpfeln in der Schweiz kommen aus dieser Herkunft.
800 Bauernbetriebe liefern bei uns direkt an oder indirekt via lokale Sammelstellen. Die Bioannahme und Verarbeitung erfolgt jeweils an spezifischen Tagen, um die geforderte separierte Verarbeitung sicherzustellen. Speziell an der Bioverarbeitung ist, dass aufgrund der Anforderungen Bio Suisse/Knospe mit Direktsaft gearbeitet wird, also nicht via die Herstellung von Konzentraten und Rückverdünnung vor der Abfüllung.
Zur Branchenentwicklung: Gibt es Parallelen zur Entwicklung der Kleinbrauereien?
Tatsächlich gibt es hier Parallelen in der Ausrichtung auf mehr Vielfalt und Offenheit für neue Vermarktungswege. Wir stehen aber noch ganz am Anfang. In der Schweiz gab es Stand 2021 über 1200 überwiegend kleine Brauereien. Denen stehen etwas mehr als ein Dutzend hochmotivierter Cider-Hersteller unterschiedlicher Grösse gegenüber.
Wir wollen die grosse Vielfalt des Cider-Universums aufzeigen, die vielen gar nicht bewusst ist. Eine Option liegt beispielsweise in der vermehrten Entwicklung sortenreiner Nischenprodukte. Die Technologie und Prozesssteuerung und das Know-how bei der anspruchsvollen Planung sowie eine hochmotivierte Gruppe von Cider Makers ermöglicht uns, dieser Nachfrage nach Vielfalt Hand zu bieten.
Mit dieser Breite können wir auch die Vielfalt der Produktionsmöglichkeiten aufzeigen, gerade auch für Besuchende, die oft nicht viel davon wissen. Wir wollen eine hohe Diversität, etwa um die Geschmackswelt von süss, sauer, bitter abzubilden. Daraus ergibt sich eine Geschmack- und Genusskultur, die auch auf Vorlieben je nach Alter und Konsumationszeit eingehen kann.
Sie wollen eine Kultur vergleichbar zu Wein und Bier aufbauen – wie?
Die Schweiz ist ja seit jeher eine Öpfel-Nation. Wir fangen nicht bei Null an. Unsere Hoffnung und unser Ziel ist es, die aktuell wachsende Community ins Boot zu holen und stetig weiterzuentwickeln.
Wir wollen mehr natürliche Vielfalt aus der Region auf die Getränkekarte und in die Verkaufsregale bringen – und damit den Markt attraktiver machen. In der Welt des Unvergorenen, also Apfelsaft und Schorle, bildet derzeit die Reduktion des natürlichen Zuckergehalts eine aktuelle Herausforderung.
Im vergorenen Sortiment hat sich das Angebot vom traditionellen «Saft vom Fass» weiter zur internationalen Cider-Varietät ausgebaut, nicht zuletzt auch mit niedrigen Alkoholgehalten bis hin zu entalkoholisierten Durstlöschern.
Wo liegen die Unterschiede zwischen Gastronomie und Detailhandel?
Die Gastronomie durchlebt derzeit einen radikalen Entschlackungs- sowie Veränderungsprozess. Neue Bedürfnisse müssen auf neue Angebote treffen. Jedoch unter Berücksichtigung bewährter bodenständiger Werte. Gäste fordern vermehrt Qualität und Regionalität auf der Karte. Betriebe, die darauf eingehen und mit spannenden Cider-Variationen für Vielfalt neben Bier und Wein sorgen, können sich abheben.
Im Detailhandel findet meist ein harter Kampf um den Regalplatz mit anderen Getränkekategorien statt. Eine Sortimentsvielfalt zu etablieren, bedarf viel Engagement und Erklärungsarbeit. Zudem kommt der Wahl der Verpackung eine grössere Bedeutung zu. Einweg, Mehrweg, Alu-Dosen, vieles ist gegeneinander abzuwägen – je nach Kanal. Bei einer jüngeren Take-away-orientierten Kundschaft hält der Siegeszug der Dose vergleichbar zum Bier an. Dank der hohen Recyling-Quoten sind diese Varianten heute auch ökologisch eine sinnvolle Wahl. Glas-Mehrwegverpackung ist heute auf dem Rückzug, ist aber vor allem im regionalen Kreislauf nach wie vor sinnvoll und beliebt.
Abschliessend – was ist der grosse Vorteil des Cider-Universums im Vergleich zu anderen Angeboten?
Cider ist das Chamäleon der Getränkebranche. Es kann praktisch in alle Konsummomente Einzug halten. Stellen Sie sich vor, jemand packt im vollen Zug die Rotwein-Flasche aus. Eine Dose alkoholfreien Cider? Klar! Cider passt aufgrund der Gebinde- und Geschmacksvielfalt während Brunch, Familienevent, der Tageswanderung, im Bergrestaurant bis zum Apéro und Diner im gehobenen Restaurant überall hinein.