Es würde Ihnen sicher nicht in den Sinn kommen zu behaupten, mit dem Hauskauf hätten Sie die Bauwirtschaft gefördert, nur weil das Haus vor Jahrzehnten einmal gebaut worden ist. Ebenso wenig finanzieren Sie Nestlé (gemäss Dow Jones Sustainability Europe Index eine nachhaltige Unternehmung!), wenn Sie Nestlé-Aktien kaufen. Denn «in der realen Welt tut sich erst einmal gar nichts, wenn Aktien den Besitzer wechseln oder man sein Portfolio umschichtet», schreibt Michael Schäfer am 14.10.2020 in der NZZ. Nachhaltige Aktieninvestments? Fast immer eine Fehlanzeige.
Während Experten und Politiker unablässig über Umwandlungssätze, über das Pensionierungsalter, über technische Zinssätze usw. diskutieren, entgeht ihnen, dass das 1000 Milliarden Franken schwere Gebäude der 2. Säule unserer Altersvorsorge ohne Fundamente auf sandigem Boden steht und immer mehr in Schieflage gerät. Denn von Anfang an wurden aufgrund von finanziellen Interessen und politischen Vorlieben gravierende Denkfehler gemacht, die nachhaltiges Anlegen fast unmöglich machen. Das einleitend erzählte Narrativ von den nachhaltigen Aktienanlagen ist vielleicht das harmloseste Beispiel eines Denkfehlers.
Viel gravierender ist die Erkenntnis, dass auch das Kapitaldeckungsverfahren wie die AHV ein Umlageverfahren ist – nur etwa dreissigmal teurer (AHV-Verwaltungskosten kleiner als 0,5%, 2. Säule mehr als 14%!). Denn wie Mackenroth bereits 1952 festgestellt hat und der Basler Finanzwissenschaftler Zimmermann auch heute konstatiert: Renten können nur auf der Grundlage von Erträgen derselben Periode gezahlt werden. Eichhörnchen mögen possierliche Geschöpfe sein. Als Vorbild für die Altersvorsorge taugen sie nicht.
Der Denkfehler der Eichhörnchen-Altersvorsorge, die am 1. Januar 1985 in Kraft getreten ist, hat gravierende Nebenwirkungen: Diese Art der Vorsorge führt zu einer Kapitalschwemme, für die es kaum mehr «Auffangbecken» gibt. Ein erheblicher Teil strömt an die Börsen, denen konjunkturelle Sorgen mittlerweile ziemlich fremd zu sein scheinen. Mit dem Kauf von Aktien stellt man sich gewissermassen auf eine Rolltreppe, die unweigerlich nach oben führt. Wirtschaftliche Fundamentaldaten spielen kaum mehr eine Rolle. Kann das nachhaltig sein?
Schlimmer ist der Effekt im Immobilienbereich. Mittlerweile scheint es günstiger zu sein, in Mehrfamilienhäuser zu investieren und diese halbleer stehen zu lassen, als bei der Bank oder auf Obligationen Negativrenditen einzufahren. Dadurch hält der Druck auf den Boden an, entsprechend steigen die Preise, was wiederum der Wirtschaft zu schaffen macht.
Die Negativzinsen haben nach Nationalbankpräsident Jordan direkt mit der Schwemme an Sparkapital zu tun. Gemäss Lehrbuch eigentlich plausibel: Das Angebot an Kapital steigt, der Preis (Zins) sinkt. Auch hier fehlt die Nachhaltigkeit.
Innerhalb des Systems 2. Säule kann nachhaltige Effekte nur erzielen, wer auf Direktanlagen im Nachhaltigkeitsbereich setzt. Das können Kredite sein, Hypotheken oder für nachhaltige Produktion verwendete Liegenschaften. Aktienbeteiligungen («Private Equity») setzen allerdings eine gründliche eigene Urteilsbildung und Risikobereitschaft voraus. Drei Beispiele für viele sind die reCircle AG (Mehrweggeschirr für Anbieter von Takeaway-Verpflegung), die kürzlich den Swiss Economic Award erhalten hat, die Bio Development AG, die für Nachfolgelösungen im Bereich von Bio-Lebensmittelproduktion und -handel gegründet wurde oder die CoOpera Beteiligungen AG, die von der CoOpera Sammelstiftung PUK gegründet wurde, um nachhaltiges Anlegen möglich zu machen. Doch selbst bei solchen Direktanlagen würde schnell ein Gedränge entstehen, wenn Milliarden hier Anlagemöglichkeiten suchen würden.