Lebensmittel-Industrie: Seit 100 Jahren engagiert sich Ihr Unternehmen im Handel mit Getreide und weiteren Agrarprodukten. Was führte damals zur Gründung und in welchen Umfeld erfolgte dies?
Marc-Remo Kündig: Unser Grossvater Willy Kündig (1896) sollte ursprünglich Banquier werden. Dazu erhielt er eine Lehrstelle in der Buchhaltung der Eidgenössischen Bank. Nach nur einem Jahr entschied er Getreidehändler zu werden. Mit 20 bekam er auf dem Oberkriegskommissariat in Bern seinen ersten Job und erhielt relativ rasch eine leitende Funktion. Noch im Ersten Weltkrieg wurde er nach Sète in Südfrankreich abdelegiert und kontrollierte im «Port Suisse» Importe aus Übersee. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde seine Stelle obsolet. Grossvater entschied sich als Agent auf eigene Rechnung zu wirtschaften und gründete die Willy Kündig Commission – Consignation. Am 1. Mai 1920 wurde mit «Kündig & Kaelin Getreide und Futtermittelhandel » der Grundstein für die heutige Kündig Gruppe gelegt. 1924 wird das Unternehmen als W. Kündig & Cie ins Handelsregister eingetragen. Die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg überlebt das Unternehmen, weil es schon damals auf solidem, unpolitischem Mensch-zu-Mensch-Fundament steht und unser Grossvater als höchst ehrenwerter Kaufmann gilt. Sein feinmaschiges Beziehungsnetz besteht nicht nur wegen guten Deals, sondern auch auf persönlichen Beziehungen mit hohem Vertrauen.
Welche Geschäftsaktivitäten aus den Gründungszeiten sind heute noch aktuell?
Mein Vater hat sich über die letzten 40 Jahre stark für die Diversifizierung unseres Portfolios eingesetzt. Somit sind wir heute auf mehreren Pfeilern abgestützt. Zusammen mit Trockenprodukten und Tiefkühlprodukten machen Druschfrüchte aber heute noch den grössten Teil des Kündig Produktemix aus. Mit der Gründung der in Berlin sitzenden Kündig Bio Agrarprodukte GmbH haben wir unser Engagement im Bereich Getreide und Hülsenfrüchte weiter ausgebaut. Kündig Bio Agrarprodukte fokussiert sich auf europäische Bio-Getreide und Hülsenfrüchte mit Rückverfolgbarkeit bis zum Erzeugerbetrieb. Wir legen hohen Wert auf den regelmässigen Austausch mit unserem Partner im Ursprung und kennen die Erzeuger persönlich.
Sie betonen das Committment zu Nachhaltigkeit, Innovation und Sicherheit – wie wirkt sich dies auf die konkrete Praxis auf?
Wir wollen die Sicherheit und Qualität von Lebensmittelrohstoffen kontinuierlich optimieren. Unsere Wertepfeiler Bauen auf folgenden drei Säulen: Tradition, Innovation und Nachhaltigkeit. Unter Tradition verstehen wir die klassischen Tugenden des ehrbaren Kaufmannes. Nicht nur gegenüber Kunden, sondern gegenüber allen Stakeholdern. Ein schönes Beispiel sind die Gesamtabnahmeverträge, die zwischen Kündig Bio Agrarprodukte und den Bauern im Baltikum jeweils vor Ort und persönlich abgeschlossen werden. Um das langfristige Bestehen unseres Unternehmens garantieren zu können, prüfen wir laufend Innovationsmöglichkeiten. Diese werden immer dann umgesetzt, wenn sie für Kunden und das Unternehmen klare Vorteile bringen. Aktuell beschäftigen wir uns stark mit Themen wie New Work, Digitalisierung und AI. In der Produktion sind es neue Technologien wie optische Sorter und Robotik. Nachhaltigkeit setzt voraus, dass unser Handeln nicht nur temporär, sondern auch langfristig den Erfolg sicherstellt. Dies gilt für unsere Produkte ebenso wie für den Umgang mit Mensch und Umwelt.
Welche Bedeutung nimmt dabei die Bio-Qualität und weitere Qualitätsstandards ein?
Der Bio-Anteil über die gesamte Kündig Gruppe gesehen macht heute in etwa 50 % aus. Der Anteil an Bio-Lebensmitteln wächst weltweit und insbesondere in Europa rasch. Diese Entwicklung haben wir schon in den 1970er-Jahren erkannt. Da die Grundsätze der Bio-Philosophie stark mit unseren Unternehmenswerten harmonieren, ist der kontinuierliche Ausbau der Bio-Kompetenz ein zentraler Bestandteil unserer Zukunft. Die Kündig Gruppe bekennt sich im «Code of Conduct» zur Verantwortung im Rahmen der weltweiten unternehmerischen Tätigkeit. So lassen wir uns regelmässig Smeta auditieren, sind BSCI-Mitglied und werden in wenigen Wochen als klimaneutrales Unternehmen zertifiziert.
Seit einiger Zeit engagieren Sie sich auch in der Belieferung der Gemeinschaftsgastronomie. Wo liegen hier genau die Schwerpunkte und Zielsetzungen?
Unsere Produkte finden meist über unsere Kunden den Weg in die Gemeinschaftsgastronomie. Wenn unsere Lebensmitteltechnologen Rezepte entwickeln, die praktisch unverändert den Weg ins Endprodukt finden, sind wir stolz. Dann haben wir unseren Job richtig gemacht.
Welche neuen Aktionsfelder haben sich seither entwickelt, beispielsweise bezüglich der Dienstleistungen bei der Lebensmittel-Veredelung?
Durch die steigenden Anforderungen an die Lebensmittelindustrie haben wir in den letzten Jahren umfangreich investiert. Allein im Bereich Trockenprodukte haben wir die letzten Jahre in die Betriebsteile «Biosteril» und die Technologie «Kündig Food Safety Tower» über CHF 10 Mio. investiert.
Ihr Unternehmung ist seit 1994 ein Pionier bei der natürlichen Keimreduzierung mittels Dampfeinsatz – für welche Sortimente kommt diese Veredelung zum Einsatz?
Die Risiken von lebensmittelbedingten Erkrankungen werden in Europa stark unterschätzt. Die WHO hat am 7. Juni 2019 anlässlich des ersten Welttages für Lebensmittelsicherheit Zahlen präsentiert, die unser Bewusstsein schärfen sollten: 23 Mio. gemeldete Erkrankungen, die geschätzte 4700 Todesfälle mit sich ziehen – diese Zahlen gelten für Europa. Unter der Marke «Biosteril» entkeimen wir hauptsächlich Trocken-Kräuter, Gewürze, Tees, Saaten und Pilze. Oft für die Fleisch- und Milchindustrie aber auch Trendprodukte wie «Cold Brew Tea». Als GMP-zertifizierter Betrieb verarbeiten wir auch pflanzliche Wirkstoffe für Arzneimittel-Hersteller.
Für welche Praxisfälle stehen Behandlungen auch für Kundenbetriebe zur Verfügung?
Die meisten «Biosteril»-Aufträge sind Kundenaufträge, die wir im Lohn ausführen. Neu bieten wir auch eine Expresslinie an, auf der wir für «Notfälle» Keimreduktionen innert Wochenfrist tätigen können. Lohnaufträge bieten wir auch für unsere Fremdkörpermanagement-Lösung, den Kündig Food Safety Tower an.
Seit Kurzem sind Sie Mitglied des Bildungsnetzwerks «foodward» – welche Synergien erwarten Sie aus dieser Kooperation?
Unserer Meinung nach hat eine solche Plattform in der Schweiz bisher gefehlt. Der Aufbau von Foodward in Kombination mit dem Job Portal, den Foodcircle Events und Foodwardtalks 33 hat uns darum sehr zugesagt. Die Mission von Foodward, als Schnittstelle zwischen den Hochschulen und den Unternehmen aus der Agro-Food-Branche, hat uns überzeugt. Die Balance zwischen akademischem und unternehmerischem Know-how ist höchst interessant, bringt weitreichendes Potenzial und Inspiration mit sich. Zudem schätzen wir den offenen Austausch mit den wesentlichen Playern in der Lebensmittelbranche. Die Möglichkeit mit kooperierenden Hochschulen unsere Mitarbeiter auf ihrem Fachgebiet kontinuierlich weiterzuentwickeln rundet das Paket weiter ab.
Das foodward-Bildungsprogramm setzt auf «Excellence in Food» in enger Kooperation mit den Hochschulen – welche Kooperationen der Praxisforschung stehen für Ihr Unternehmen im Vordergrund?
Wichtige Themenfelder für Kooperationen sind Food-Safety-Qualitätsanforderungen aller Art und die Nutzung neuer digitaler Technologien für die
Rückverfolgbarkeit entlang der Wertschöpfungskette. Auf der Rohstoffebene steht die Nutzung und Aufbereitung alternativer Proteine im Fokus. Dies
ist besonders interessant angesichts der steigenden Nachfrage nach ernährungspsychologisch wertvoller vegetarischer Sortimente.
Bei der Entwicklung neuer Technologien arbeiten Sie mit der Bühler Group zusammen – welche neuen industriellen Anwendungen sind hier spruchreif, bzw. in Entwicklung?
Mit Laatu hat Bühler eine bahnbrechende Inaktivierungslösung entwickelt, welche durch niederenergetische Elektronenstrahlen die Oberfläche von
getrockneten Lebensmitteln entkeimt. Die Technologie entspricht einer nicht-thermischen Behandlungsmethode und kommt ohne Feuchtigkeit aus.
Als offizieller Technologiepartner haben wir Bühler durch die gesamte Entwicklungsphase von Laatu betreut und sie bei der Validierung unterstützt.
Durch die ausgezeichnete Zusammenarbeit und die homogene Auffassung von Qualität und Geschäftsethik hat sich eine ausgezeichnete Freundschaft zwischen Bühler und Kündig ergeben.
W. Kündig & Cie AG – Stabwechsel zum 100-Jahre-Jubiläum
Rund ein Jahrhundert nach der Unternehmensgründung übernimmt bei der Zürcher Unternehmung die Enkelgeneration die operative Leitung. Mit Sandro und Marc-Remo Kündig übernimmt die dritte Generation per 1. Januar 2021 im Dreier-Gespann mit Alain Wegmüller (CFO) die Gruppenleitung. Bis zum 31. Dezember 2020 ist Walter Stürzinger als CEO der Kündig Gruppe verantwortlich. Eine aktuelle Jubiläums-Dokumentation zeichnet den Entwicklungsweg des Unternehmens auf eindrückliche Weise nach und zeigt den Blick in die Zukunft auf.
https://kuendig.com/fuehrungswechselbei-der-w-kuendig-cie-ag/