Mitverantwortung von Politik und Gesellschaft
Was sagen die Konsumenten und welche Massnahmen braucht es in der Politik? Babette Sigg, Präsidentin Konsumentenforum kf, repräsentierte die Stimme der Konsumenten und der Politik. Kaum überraschend, wies sie auf den Umstand hin, dass die breite Öffentlichkeit keine Ahnung von den umfassenden Aufgaben der Verpackungen hat. Konsumenten beurteilen – trotz jahrzehntelanger Aufklärungsarbeit auch seitens des Schweizerischen Verpackungsinstituts – Verpackungen subjektiv und schauen nur nach einzelnen Aspekten, nie aber ganzheitlich. Sigg bekannte sich dazu, dass sie selbst auch erst als Mitglied der Swiss-Packaging-Award Jury einen vertieften Einblick in die komplexe Welt der Verpackung bekam.
Nach der Mittagspause standen die Wirkungen des Marketings auf die Verpackung der Zukunft im Fokus. Um erfolgreiches Marketing mit Verpackungen zu betreiben, ist fundiertes Wissen darüber notwendig, wie Verpackungen im menschlichen Gehirn wirken. Dazu erläuterte der Vordenker des Neuromarketings Dr. Hans-Georg Häusel die Grundlagen der Marketing-, Verkaufs- und Management-Hirnforschung. Entscheidungen im Gehirn fallen weitgehend unbewusst und immer emotional. Für Marketing und Verkauf enthüllte er, wo die vielen kleinen unbewussten Kaufknöpfe sitzen, was Kunden unterscheidet und wie man Kunden verführen und für sich gewinnen kann.
Die Ergebnisse einer Onlinehändlerbefragung unter Gesichtspunkten des Marketings am Point of (Online) Sale präsentierte Valerio Stallone von der ZHAW. An der Studie im ersten Halbjahr 2021 nahmen 284 Onlinehändler aus der Schweiz teil. Nicht zuletzt durch den Corona-Boost erreicht der Schweizer Onlinehandel mittlerweile fast 15 Milliarden Franken Umsatz pro Jahr. Prognostiziert wird eine weitere Zunahme von Onlinekäufen, ein fortgesetztes Sterben stationärer Ladengeschäfte und das Wachstum neuer Ladenformate. Gemäss der Studie werden auch physische Messen nicht mehr denselben Zulauf wie vor der Corona-Krise verzeichnen.
Die Kraft der Verpackung in einer digitalisierten Welt führt über Empathie und Multisinnlichkeit, wie Ruediger Goetz, Managing Director der Peter Schmidt Group darlegte. Eine Verpackung erzeugt Emotionen und transportiert Werte – nicht nur das Füllgut. Sie «verkauft» den Inhalt ohne Worte, in dem sie mit ihrer Machart und ihrem Erscheinungsbild den Inhalt so widerspiegelt, wie er von der Zielgruppe erkannt werden soll. Die Verpackung ist der stumme Verkäufer im Markt, der mit seiner Wirkung und ohne Argumentation Verkaufserfolge erzielen kann. Die rationalen Argumente für das Füllgut finden sich teilweise im Kleingedruckten auf dem Packmittel. Aber der Kaufimpuls wird nicht durch die Inhaltsangaben ausgelöst, sondern rein durch die entsprechende Machart des Packmittels. Goetz veranschaulichte seine Ausführungen mit zahlreichen Beispielen von Verpackungen und Logos, die klar nonverbal die entsprechende Zielgruppe ansprechen.
Den Blick aufs Verpackungs-Ganze richtete Dr. Manfred Tacker vom OFI in Wien. Bei der Nachhaltigkeitsbewertung gelten in jedem Land andere Kriterien, sodass man jedes Land separat betrachten muss. Grundsätzlich besteht überall Handlungsbedarf, denn bis 2030 müssen Verpackungen in der ganzen EU recyclingfähig sein, um ihre Marktzulassung zu behalten. Für eine Nachhaltigkeitsbewertung sind jedoch Daten notwendig. Derzeit bestehen noch erhebliche Lücken in der Datenverfügbarkeit aus der gesamten Supply Chain. Die Daten aus der Schweiz für das Netzwerk «Circular Analytics» liefert die Emmi AG. Es gibt eine Vielzahl von Gestaltungsrichtlinien und Bewertungsmethoden sowie viele Definitionen von Recyclingfähigkeit. Auch die Materialströme unterscheiden sich von Land zu Land. Immer wieder müssen Abwägungen vorgenommen werden bei der Vergleichbarkeit von Flaschen, Pouches, Kartons und Bechern für dasselbe Füllgut. Nur wenn alle Parameter bekannt sind, lässt sich eine Gesamtbetrachtung erstellen und bewerten. Und erst damit wird das sogenannte «Greenwashing» leicht erkennbar.
Echte Innovation vermeidet Greenwashing
Die abschliessende Podiumsdiskussion moderierte Dr. Karola Krell-Zbinden. Tobias Leischner (CEO der Bourquin SA), Patrick Semadeni (Inhaber der Semadeni Plastic Group) und Urs Stillhard (Verkaufsleiter der Saropack AG) debattierten intensiv darüber, was wirklich nachhaltige Verpackungen und nicht einfach nur Greenwashing sind. Die Experten stritten sich über den Punkt, ob Kompensationen in Form von Zertifikaten oder wirkliche Vermeidung sinnvoller sind. Klar ist, dass die Konsumenten eine nachhaltige (und dadurch oft nicht sonderlich attraktive) Verpackung falsch verstehen, genauso wie die Gurke, welche aus vielerlei sinnvollen Gründen in Kunststofffolie eingeschweisst wird. Dass diese Verpackungen enorm den Foodwaste verringern, ist nur wenigen bekannt und sorgt regelmässig für Debatten über sogenannte unnötige Verpackungen, weil die Funktion und der daraus resultierende Nutzen nicht erkannt wird.
Für Babette Sigg sind die Diskussionen über Nachhaltigkeit und Bereitschaft der Kunden ein sogenanntes Erdbeerproblem. Die Retailer verkaufen Erdbeeren auch im Winter und sagen, dass dies die Konsumenten so wollen. Die Konsumenten ihrerseits sagen, dass sie Erdbeeren kaufen, weil diese bei den Grossverteilern das ganze Jahr über angeboten werden. Wenn also nur noch nachhaltige Produkte angeboten werden, wird sich das Konsumverhalten anpassen, weil es keine Wahlmöglichkeiten mehr gibt. Gleiches gilt für die Verpackungen.
Offen blieb, wie das ideale Design für die Verpackung der Zukunft aussieht. Eine wirklich nachhaltige Verpackung spricht die grosse Masse der Konsumenten nicht an, da wir gemäss der Forschung von Dr. Hans-Georg Häusel nicht vernunft-, sondern emotional-gesteuert sind.
Die Verpackung ist für uns Menschen mehr als nur ein Transportgefäss, das den Inhalt optimal schützt und nach Gebrauch unbedenklich entsorgt werden kann. Die Verpackung weckt Emotionen aller Art, was ein wirklich nachhaltiges Packmittel aber nur noch sehr begrenzt erreichen kann. Jede Zielgruppe spricht auf andere Farben, Formen und haptische Effekte an. Eine wirklich nachhaltige Verpackung kann auf diese unterschiedlichen Präferenzen nur begrenzt eingehen. Daher muss bei den Konsumentinnen und Konsumenten ein Umdenken stattfinden. Dieses Umdenken geht mit einer grundlegenden Änderung im Konsumverhalten einher und bedarf einer umfassenden Information der gesamten Öffentlichkeit.