Wir konsumieren zu viel Milch. Und die Art und Weise wie wir Milch überwiegend produzieren, ist für die Erzeuger*innen, die Tiere und die Natur, weder sozial, ökologisch noch ökonomisch nachhaltig. So wie es ist, kann es also nicht weitergehen. Es muss sich etwas verändern. Doch was ist Veränderung und wie funktioniert sie? Wer kann sich in einem System, überhaupt verändern? Was hemmt oder fördert eine Verhaltensveränderung der Beteiligten und wie gross ist ihr Einfluss, um das «Gesamtsystem Milch» zu transformieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich dieser Text und die dem zugrunde liegende Masterarbeit.
Wandel des Milchsystems dringend notwendig
Damit sich Milchproduktion und Milchkonsum innerhalb sozio-ökologischer Grenzen bewegen, ist ein radikaler und systemweiter Wandel des Milchsystems, eine sogenannte Transformation, dringend erforderlich. Allerdings ist noch unbekannt, wodurch diese Transformation ermöglicht wird und wie der Weg hin zu einem zukunftsfähigen Milchsystem aussehen kann.
Wunsch nach Veränderung
Die Wörter «gerne betreiben würden» geben schon einen Vorgeschmack auf die Situation der Erzeugerinnen. Einige wollen gerne anders produzieren. Sie wollen sich verkleinern, wollen ihre Tiere auf die Weide schicken, wollen direkt vermarkten, wollen weg von der Hochleistungskuh, hin zu robusten und eher klimaresilienten Rassen. Aber sie können nicht. Der neue grosse Stall ist gebaut, weil «wachsen, wachsen, wachsen, um effizienter zu sein» das allgemeine Credo ist und bereits in den Landwirtschaftsschulen gelehrt wird. Die Abnahmeverträge mit der Molkerei sind gemacht. Weniger Milch zu liefern, würde bedeuten, den Kredit nicht abbezahlen zu können, die Familie nicht ernähren zu können. Während biologische Produktion für einige der Befragten der nicht zu diskutierende Mindeststandard ist, sagten andere, ein Umstieg würde wenig verändern, da es nur der Sprung in ein anderes Hamsterrad wäre. Bei den befragten Erzeugerinnen und Konsumentinnen war der Wunsch und die Motivation vorhanden, das eigene Verhalten zu verändern. Die Umsetzung aber war erschwert oder nicht möglich aufgrund des physischen und sozialen Systems in dem sie sich bewegen. Das heisst, für die Konsumentinnen ist gute Milch schlicht nicht leicht erreichbar oder gar nicht verfügbar, ökonomisch nicht tragbar, oder es ist in ihrem sozialen Umfeld weder normal noch erstrebenswert, diese zu kaufen.
Obwohl inzwischen aus der Verhaltensökonomie bekannt ist, dass die Bereitstellung von Information wenig Auswirkungen auf die direkte Kaufentscheidung hat und Individuen Teil eines Systems sind, von dem sie beeinflusst werden, wird in Politik und Wirtschaft noch immer vermehrt auf die Ernährungsentscheidungen der einzelnen Menschen und die Beeinflussung der Nachfrage gesetzt. Jedoch fehlt bisher eine Bewertung dieser Ansätze im Hinblick auf die transformative Veränderung, die sie bewirken können. Noch weniger wurde bisher untersucht, welchen Einfluss Erzeugerinnen haben, diese Transformation voranzubringen.
Die hier zugrunde liegende Forschungsarbeit versucht, diese Lücken zu schliessen, indem sie die Disziplinen der Verhaltensänderung mit Systemveränderung kombiniert; ein neuartiger Ansatz, um den Spielraum der Verhaltensveränderung bei der Nachhaltigkeitstransformation zu erforschen.
Abhängigkeiten und Denkmuster überwinden
Für die Verhaltensveränderung der Konsumentinnen wurden die hohe Wertschätzung von Lebensmitteln und die Verbundenheit mit Bäuerinnen und Bauern als potenzielle Chancen identifiziert. Die guten Absichten der Erzeugerinnen wurden durch wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten und die sozialen Normen von Wachstum und Individualismus gehemmt. Zusammenarbeit und die Erfahrung, dass es sich lohnt, anders zu produzieren, ermöglichten hingegen eine Verhaltensveränderung.
Mithilfe Donella Meadows’ 1999 entwickelter Methode der Hebelpunkte zeigte die Untersuchung, an welchen Stellen ein Eingreifen in das System eine transformative Wirkung haben kann: Demzufolge wäre eine Änderung des Ziels von Wachstums- und Export-Orientierung hin zu Regionalität und Qualitätsdifferenzierung und der zugrunde liegenden Denkmuster von Individualismus hin zur Zusammenarbeit am effektivsten, aber auch am herausforderndsten. Herausfordernd deshalb, weil diese marktwirtschaftlichen Ziele nicht von den Befragten gesetzt werden und Denkmuster sozial gewachsene Konstrukte sind, die von diesen Zielen noch befeuert werden. Das Transformationspotenzial der Verhaltensänderung von Verbraucherinnen und Erzeuger*innen ist demzufolge begrenzt, aber kleine strukturelle Erfolge auf der Ebene der verschiedenen Akteure und ihrer Wechselwirkungen sind durch gestärkte Zusammenarbeit möglich. Durch Offenheit, Respekt und Umsicht der Beteiligten kann Zusammenarbeit fruchten und hat so das Potenzial zum Paradigmenwechsel. Dies macht deutlich, dass mögliche Lösungen auf mehreren Ebenen des Systems ansetzen müssen, aber zusätzlich auch der politischen Unterstützung bedürfe