Lebensmittel-Industrie: Seit einigen Jahren hat auch mit Ihnen eine neue Generation das Traditionsunternehmen übernommen.
Was hat sich seither entwickelt?
Sandro Kündig: Unser Unternehmen ist nach wie vor auf vier Pfeilern aufgebaut: 1) Getreide, Hülsenfrüchte, Ölsaaten; 2) Tiefkühlprodukte; 3) Trockenprodukte und 4) Lohnverarbeitung. Wir haben in den Bereichen 1–3 eine Internationalisierung vorgenommen und bieten die Produkte verstärkt nicht nur im DACH-Raum an, sondern auch im erweiterten Ausland.
Wir investieren vermehrt in den Ursprung und haben mittlerweile Mitarbeitende im Baltikum, in Ungarn, Serbien und China stationiert. Diese stellen sicher, dass unsere Partner im Ursprung die gewünschte Qualität einhalten. Dies beinhaltet Vertragsanbauverträge inklusive Vorfinanzierung von Landwirten, Erweiterungen von Zertifizierungen wie etwa Doppelzertifizierungen wie z. B. Fairtraide- Bio-Suisse.
In der Lohnverarbeitung bieten wir neben der klassischen Keimreduzierung weitere Dienstleistungen an wie Sieben und Vermahlen, optische Sortierung, Vorratsschutz-Behandlung oder Metall-Dedektierung. Vermehrt investierten wir in die Erfüllung pharmazeutischer GMP-Standards.
Sie betonen das Commitment zu Nachhaltigkeit, Innovation und Sicherheit – wie wirkt sich dies auf die konkrete Praxis aus?
Unsere Vision 2030 lautet: Enkeltaugliche Ernährung vom Acker bis auf den Teller. Wir möchten mit unseren Partnern ein nachhaltiges Lebensmittelsystem garantieren, welches auch noch für die nächste und übernächste Generation zur Verfügung steht.
Wir haben uns dazu verpflichtet, dass wir unseren CO₂-Ausstoss bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent reduzieren. Seit einigen Jahren kompensieren wir jegliche CO₂-Emissionen unserer Unternehmen und produzieren in Thüringen mit Energie aus erneuerbaren Energien. Mit verschiedenen Projekten erzielen wir konkrete Reduktionen. So haben wir im Zwiebel-Anbau in Zusammenarbeit mit einer darauf spezialisierten Plattform den Pflanzenkohle-Einsatz integriert. Zusammen mit unseren Partnern forcieren wir verschiedenste Projekte, von der Reduzierung von Emissionen, der Erhöhung der Bioflächen bis zur Optimierung der Sozialstandards.
Welche Bedeutung nimmt dabei Bio-Qualität ein?
Bio hat nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert in der Kündig Gruppe. Wir sind schon seit den 80er Jahren Mitglied bei Bio-Suisse und Demeter. Wir konnten in den letzten fünf Jahren unseren Bio-Anteil von circa 50 Prozent auf knapp 70 Prozent erhöhen und dies in einem kurzfristig rückläufigen Markt. Wir sind davon überzeugt, dass eine regenerative Landwirtschaft die Lösung sein muss, um ein nachhaltiges Ernährungssystem aufrechtzuerhalten. Weiter fokussieren wir uns vermehrt auf Doppelzertifizierungen, da dies von einigen Kunden verlangt wird.
Welche neuen Aktionsfelder stehen bezüglich der Dienstleistungen bei der Veredelung im Vordergrund?
Im Bereich der Lohnverarbeitung ist es uns gelungen, bei medizinischem Cannabis eine alternative Behandlungsmöglichkeit gegen mikrobiologische Verunreinigungen zu gewährleisten. Bisher wird das auf dem Markt mit Gammastrahlen vorgenommen, denn die Schwierigkeit besteht darin, dass die Wirkstoffe bei einer Hitzebehandlung aktiviert werden und danach die Wirkung nicht mehr gewährleistet ist. Uns ist es nach mehreren Jahren Forschung gelungen, diesen Prozess mit Sattdampf zu vollziehen und bieten da eine natürliche Alternative auf dem Markt.
Stehen die Behandlungen auch für Kundenbetriebe
zur Verfügung?
Ja, selbstverständlich. Vor einigen Jahren hat sich unsere Dienstleistung vor allem auf die Biosteril- Dampfentkeimung beschränkt. Die Dampfentkeimung ist nach wie vor ein Kernelement unserer Dienstleistung, und wir bieten diese unter GMP oder auch 5-Log-Standards an. Wir haben viel in die Ausreinigung von physikalischen Fremdkörpern investiert. Mit dem «Kündig Food Safety Tower» bieten wir eine Lösung an, welche getrocknete Rohwaren reinigt, optisch sortiert, metalldetektiert und röngt. Weiter bieten wir auch Lösungen im Bereich Mahlen, Granulieren und Vorratsschutzbehandlung an. Wir übernehmen dabei den vollständigen Prozess, von der Verzollung bis hin zur Verarbeitung und Endverpackung. Des Öfteren übernehmen wir sogar die Logistik direkt zum Kunden und vom Kunden. Das Interessante daran ist, dass wir jegliche getrocknete Rohstoffe vor Ort verarbeiten, auch solche welche wir selber nicht verkaufen. Konkret verarbeiten wir zum Beispiel Vanille, Pfeffer, Kapuzinerkresse. Dies macht den Alltag äusserst spannend, und wir lernen tagtäglich von neuen Produkten dazu. Die Kunden stammen mittlerweile aus ganz Europa, und unser Kompetenzzentrum in Thüringen ist geografisch optimal gelegen, denn es liegt in der Mitte Europas.
Unternehmen Sie gezielte Massnahmen zur Innovationsförderung?
Ja, wir haben ein Team aufgebaut, das sich neusten Produktinnovationen widmet. Wir bieten dies nun auch als Dienstleistung an, als Vollservice alles aus einer Hand, vom Productsourcing bis hin zur Markteinführung. Unser Fokus liegt auf Private Label und Projekten mit Retailern aus ganz Europa.
Unsere Innovationsabteilung setzt sich mit Neuheiten am Markt auseinander und versucht diese mit unseren Rohstoffen zu realisieren. Die Neuheiten stellen wir unseren Kunden vor und werden gemäss ihrer Bedürfnisse konkretisiert. Immer öfters treten unsere Partner mit ihren Ideen bzw. Umsetzungsaufträgen an uns. Wir übernehmen dann die Beratung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Sie engagieren sich im Foodward-Bildungsprogramm und in weiteren Innovations-Kooperationen …
Wir sind teil des «Foodward Pioneer Programms» für zukunftsfähige Ernährungssysteme. Mit engagiert sind rund zehn Unternehmen, welche unterschiedliche Funktionen entlang der Wertschöpfungskette einnehmen. Der Fokus liegt einerseits in der Förderung von Start-ups in Form von Know-how oder finanziellen Mitteln. Neu wurde die «Pioneer Innovation Challenge» lanciert. Die von den Unternehmen gestellten Aufgaben werden in diesem Rahmen von Forschenden, Start-ups und Studierenden gelöst. Sie verfügen über eigene Vertragsanbau-Projekte im Baltikum – was sind hier die Ziele und die Zukunftsperspektiven? Wir arbeiten bei einigen Vertragsanbauprojekten mit einem Zeithorizont von 3–5 Jahren und garantieren dabei die Vorfinanzierung. Im Baltikum steht u. a. der Dinkelanbau nach Bio Suisse- und Demeter-Anforderungen im Vordergrund. Ein weiteres Projekt betrifft den Anbau von Gelberbsen oder Ackerbohnen in Bio-Qualität. Vermehrt nehmen wir die Endkunden mit ins Boot, um Projekte dieser Art gemeinsam voranzutreiben. Kooperationsprojekte betreiben wir zudem in Bolivien, in enger Kooperation mit Bio Suisse- und Fairtrade-anerkannten Anbauprojekten. Den Bäuerinnen und Bauern garantieren wir gemäss den Anforderungen ein faires Einkommen. Es ist schön, zu sehen, was wir da gemeinsam mit den lokalen bäuerlichen Gemeinschaften alles entwickeln konnten.
Verbindet sich damit auch das Ziel der Re-Europäisierung der Lieferkette?
Wir haben uns vorgenommen, bis zum Jahr 2030 über 50 Prozent unserer Rohstoffe aus einem Umkreis von 1500 km zu sourcen (Startpunkt: Deutschland, Thüringen). Im Bereich der Getreide, Leguminosen und Saaten sehen wir grosses Potenzial, dies innerhalb von Europa auszubauen. Im Tiefkühlsegment beziehen wir schon jetzt einen Grossteil der Rohstoffe innerhalb dieses Umkreises, nur die tropischen Früchte holen wir aus Übersee. Beim Trockengemüse ist die Herausforderung grösser, da die Preissensitivität in diesem Markt sehr hoch und China nach wie vor ein wesentlicher Player in diesem Segment ist. Nichts desto trotz haben wir verschiedene Projekte in Europa lanciert, unser Steckenpferd ist die bayrische Trockenzwiebel, wir vermarkten erfolgreich seit über einem Jahrzehnt die deutsche Zwiebel. Je nach Ernte fällt der Ertrag zwischen 800 und 1500 t aus (getrocknet).
Wir planen hier Jahr für Jahr mit den Landwirten und haben in den letzten Jahren auch mit der Bio-Produktion gestartet und streben nun eine Zertifizierung gemäss Bioland- und Naturland-Standard an und sollten spätestens im Jahr 2025 so weit sein.
Vielen Dank für das Gespräch!