Die Bell Food Group AG ist ein Unternehmen der Coop-Gruppe – was bedeutet dies für Ihre Geschäftstätigkeit?
Die Coop-Gruppe hält zwei Drittel der Aktien der Bell Food Group AG und ist damit Mehrheitsaktionärin. Die Unternehmen der Coop-Gruppe machen rund 50 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Diese Grundauslastung ermöglicht Investitionen, von denen nicht nur Coop, sondern auch alle anderen Kunden profitieren. Der Kundenkreis aus Retail, Food Service und Lebensmittelindustrie ist breitgefächert, das gilt insbesondere für die internationalen Geschäftsaktivitäten. Diese Vielfalt fördert unsere Leistungsfähigkeit in Bezug auf marktfähige, innovative Produkte und Dienstleistungen.
Welche Rolle nimmt die Bell Food Group AG in der Schweizer Fleischbranche ein?
Bell ist ein Unternehmen mit langer Tradition. Entstanden ist es 1869 mit einer kleinen Metzgerei in Basel. Durch Innovationsgeist und eine kluge Expansionspolitik ist Bell schon 50 Jahre später zum wichtigsten Fleischproduzenten des Landes herangewachsen, und das sind wir bis heute geblieben. Die Marke Bell ist bei 9 von 10 Schweizerinnen und Schweizern bekannt und beliebt. Bell ist heute Teil der Bell Food Group, die mit den Divisionen Eisberg, Hilcona oder Hügli gut 20 Prozent vom Umsatz mit fleischlosen, pflanzenbasierten Produkten erzielt. Das traditionelle Kerngeschäft mit Fleischwaren, Geflügel und Seafood in der Schweiz ist aber nach wie vor das Herzstück der Gruppe. Wir glauben an den Produktionsstandort Schweiz und wir werden auch in Zukunft ein wichtiger Partner der Schweizer Landwirtschaft sein
Welche Zukunfts-Perspektiven bestehen für das klassische Metzgereigewerbe – und für Start-upInnovationen?
Ich bin überzeugt, dass es beides braucht, und es freut mich auch, dass wir in der Bell Food Group über beides verfügen. Am Standort Oensingen investieren wir einen grossen dreistelligen Millionenbetrag in die Modernisierung unserer Produktionsinfrastruktur. Damit sichern wir langfristig unsere Führungsposition im Schweizer Kerngeschäft mit Fleisch und Fleischwaren. Die Entwicklung von innovativen Neuheiten hat schon immer zur DNA von Bell gehört und war auch mit ein Grund für den langfristigen Erfolg. Deshalb gehört das Aufspüren und Entwickeln von neuartigen Produkten auch heute noch zu unseren strategischen Zielsetzungen. Mit unserem eigenen Start-up «The Green Mountain» haben wir uns beispielweise in kürzester Zeit zum führenden Hersteller von veganen Fleischalternativen in der Schweiz entwickelt. Ebenso haben wir uns vor drei Jahren dafür entschieden, beim niederländischen Start-up Mosa Meat einzusteigen. Das ist einer der führenden Hersteller von kultiviertem Fleisch.
Das Unternehmen ist auch im europäischen Markt aktiv – was sind dabei die Schwerpunkte?
Im Fleischbereich liegt der internationale Fokus klar auf den beiden Segmenten Rohschinken und nachhaltiges Geflügel. In Deutschland, Frankreich, Spanien und Polen verfügen wir über mehrere spezialisierte Produktionsbetriebe für regionale Charcuterie-Spezialitäten. In Österreich führen wir genau wie in der Schweiz eine integrierte Geflügelproduktion, in der wir von Ei bis zum genussfertigen Produkt die gesamte Wertschöpfungskette steuern. In der DACH-Region sind wir der grösste Anbieter von Bio-Geflügel. In diesen zukunftsträchtigen Bereich wollen wir in den kommenden Jahren weiter investieren und wachsen.
Welche Bedeutung nehmen Label-Programme mit Fokus Bioqualität, Tierschutz und weiteren Nachhaltigkeitsaspekten ein?
Wir sind in der Schweiz zurecht stolz auf unsere hohen Tierschutzstandards mit einem im internationalen Vergleich sehr hohen Labelanteil. Diesen bauen wir weiter aus, zum Beispiel mit unserem neuen BTSPoulet-Stallkonzept. Dieses setzt bezüglich Umwelteinflüssen und Tierwohl einen neuen Massstab. Wir stellen auch fest, dass Themen wie Tierhaltung oder biologische Landwirtschaft im europäischen Ausland stärker an Bedeutung gewinnen. Hier wollen wir den Unterschied machen und eine führende Rolle übernehmen. Dank grosser Leistungsfähigkeit und Engagement auf diesem Gebiet können wir unseren Kunden hier einen Mehrwert bieten. Die Nachfrage nach Bio-Produkten nimmt zu und die Verfügbarkeit entsprechend auszurichten, wird eine Herausforderung sein. Mehr Nachhaltigkeit erreichen wir nicht von heute auf morgen. Die Ganztierverwertung muss sichergestellt sein und schliesslich müssen auch Kunden und Konsumenten bereit sein, diese Mehrleistungen zu vergüten.
Wie sieht die Situation und das Potenzial im Grosshandel für die Verarbeitungs- und Gastronomiebranche aus?
Die Verarbeitungs- und Gastronomiebranche wurde durch die Corona-Pandemie hart getroffen. Da hat sicherlich eine gewisse Flurbereinigung stattgefunden und das hat Veränderungsprozesse, die bereits im Gang waren, beschleunigt. Wir gehen davon aus, dass diese Veränderungen nachhaltig sein werden und in Zukunft vermehrt neue Gastrokonzepte für veränderte Konsumentenbedürfnisse entstehen werden. Für diesen Neustart sind wir bereit und können für unsere Kunden innovative Lösungen anbieten. Zum Beispiel mit unserer Initiative Smart Cuisine, mit deren Produktkonzepten wir für die Gastronomen verschiedene Zubereitungsschritte übernehmen.
Von Tierschutzorganisationen ist die Kritik zu hören, die Vergütung für die Label-Mehrwerte sei ungenügend – Ihre Einschätzung/Haltung dazu aufgrund der Praxis?
Wir sind in der Rolle des Verarbeiters und stellen die strikte Trennung und Rückverfolgbarkeit der Warenströme sicher, ansonsten sind unsere Produktionskosten vergleichbar mit jenen bei konventionellem Rohmaterial. Die Label-Zuschläge werden von den Label-Inhabern mit den Produzenten vereinbart. Die Verkaufspreise werden vom Handel festgelegt. Auf die Preisbildung haben wir keinen Einfluss.
Wie reagieren Sie auf die veränderten Marktentwicklungen und Ernährungsgewohnheiten – Stichworte: Vegetarisch, vegan, Insekten als Lebensmittel?
Wir versuchen neue Trends und Konsumentenbedürfnisse möglichst frühzeitig zu erkennen und in unseren Innovationsprozess zu integrieren. Die Bell Food Group lanciert jedes Jahr etwa 2000 neue Produkte. Die Bandbreite der Neuheiten reicht von einfachen Rezepturanpassungen, beispielsweise einer neuen Marinade, bis hin zu ganzheitlichen neuen Produktkonzepten. Gerade in neuen Produktsegmenten wie der To-Go-Convenience oder bei den pflanzlichen Fleischalternativen ist die Innovationsrate sehr hoch. Die Nachfrage nach veganen Produkten wächst erfreulich. Da wollen wir unser Angebot erweitern. Bei Hilcona sind spezialisierte Teams im Einsatz, die die Konsumentenbedürfnisse eruieren und die veganen Sortimente gezielt weiterentwickeln. Der Fleischkonsum entwickelt sich insgesamt stabil. Der etwas geringere Pro-Kopf-Konsum wird durch die wachsende Bevölkerung momentan wieder ausgeglichen. Allfällige künftige Konsumverschiebungen können wir mit unserem breit aufgestellten Geschäftsmodell gut auffangen.
Welche verarbeitungstechnischen Anpassungen bringt diese Sortimentserweiterung mit sich?
Wir haben für alle Warengruppen spezialisierte Abteilungen und Produktionsbetriebe mit einer auf die jeweiligen Bedürfnisse ausgerichteten Produktionsinfrastruktur. Diese entwickeln wir gemäss unserer strategischen Planung und unter Einbezug der Kundenbedürfnisse kontinuierlich weiter. Die Bell Food Group investiert jährlich rund CHF 250 Millionen in die Erneuerung der Infrastruktur. Bei Hilcona in Schaan/FL schaffen wir beispielsweise mit unserem Werksentwicklungsplan die Voraussetzungen für Wachstum und neue Technologien.
Welche technologischen Entwicklungen stehen (aktuell und zukunftsgerichtet) allgemein im Vordergrund?
Wir gehen davon aus, dass der Wachstumstrend im Bereich Fleischalternativen weitergehen wird, das betrifft einerseits das Produktionsvolumen und andererseits auch neue Rezepturen und Sortimente. Bei der Entwicklung von neuen veganen Fleischalternativen ist es eine grosse Herausforderung, den typischen Biss und die Struktur von Fleisch nachzuempfinden. Unsere Expertenteams setzen dabei auf technologische Innovationen wie beispielsweise die Nassextrusion oder auf die Verwendung von verschiedenen Pflanzeneiweissen. Auch im Bereich Convenience sehen wir weiteres Wachstumspotenzial. Gefragt sind Produkte mit höherem Zubereitungsgrad, die höchste Ansprüche an die Qualität der Rohmaterialen sowie an die Kulinarik erfüllen.