Mit dem Claim «Hug Familie» betonen Sie das Bekenntnis zum Familienunternehmen. Was sind/waren die wichtigsten Meilensteine?
Anna Hug: «HUG – Herzlich – Unternehmerisch – Gewissenhaft» war Ende der 80er-Jahre die Idee meines Vaters. Die drei Dimensionen sind wichtig für die Identität gegen innen und aussen. Die Mitarbeitenden kennen die Bedeutung und die Werte. Wir leben diese Werte im Unternehmensalltag, «herzlich» kann beispielsweise wichtig werden in schwierigen Personalsituationen.
Wichtige Meilensteine der jüngeren Vergangenheit waren neben vielen weiteren der Einstieg der bereits fünften Generation mit mir und meinem Cousin Fabian Hug als Entwicklungs- und QM-Verantwortlicher und der Kauf von Wernli. Im Verlauf der langen Firmengeschichte haben wir uns klar zum Industriebetrieb entwickelt, pflegen dennoch das Bäcker- und Konditorhandwerk. Das schliesst sich nicht aus. Natürlich wollen wir rationell arbeiten, aber nie auf Kosten der Qualität.
Das neue Co-Leitungsmodell hat für Aufmerksamkeit in der Branche gesorgt. Was führte zu dieser Lösung?
Anna Hug: Das Co-Leitungsmodell ergab sich auch aus der Erfahrung der vorherigen Generation, in der eine Person alleine das Pensum unseres heutigen Leitungsmodells von 2 x 70 Prozent leisten musste.
Wie teilen Sie sich die Aufgaben und Verantwortungen auf, welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich daraus?
Marianne Wüthrich Gross: Wir haben klar zwei Organisationsbereiche, die wir jeweils verantworten. Gleichzeitig ist die Stellvertretung jederzeit sichergestellt. Wir haben keine Doppel-Spurigkeiten und dadurch eine gute «Ordnung im Stall». Marketing, Vermarktung und die Personalverantwortung liegen bei Anna Hug. Die ganzen technischen Bereiche und die Finanzen liegen bei mir. Dazu gehört auch die Produktion.
Anna Hug: Wir ergänzen uns gut und sind auch gegenseitige «Sparring-Partner». Zwei Köpfe haben doppelt so viele Ideen und man kann sich bei schwierigen Sachverhalten in der Diskussion gemeinsam für den besten Weg entscheiden. Es gelingt uns, eine gesunde Work-Life-Balance zu finden, trotz grosser Verantwortung und viel Arbeitseinsatz. Wir wollen unsere Kinder begleiten können, das ist ihr gutes Recht und unser Anspruch. Die «Hug Familie» umfasst heute eine breite Produktund Markenvielfalt.
Welche Kriterien bestehen für Erweiterungen des Angebots?
Anna Hug: Wir sind sehr breit aufgestellt und das hat seine bekannten Vor- und Nachteile. In der Pandemie haben wir im Food Service mit der Gastronomie gelitten, im Retailbereich konnten wir zulegen. Wir prüfen immer wieder neue strategische Optionen, um zu wachsen. Aktuell erweitern wir unser Tiefkühlsortiment Food Service mit Apérohäppchen, um auf den Trend Convenience und dem Fachkräftemangel in der Küche zu reagieren.
Die Backwarenbranche ist sehr energie-intensiv – mit welchen Strategien schafft Ihr Unternehmen den Schritt in die Nachhaltigkeitszukunft?
Marianne Wüthrich Gross: Wie in einem Backwaren-Unternehmen nicht anders zu erwarten, brauchen unsere Öfen viel Energie. Die Optimierung hat jedoch bereits vor vielen Jahren begonnen. «Es raucht kein AKW mehr hintendran.» Öfen speichern die Energie sehr gut. Die Isolationen sind heute so gut, dass die Wärmeabstrahlung einem nicht mehr entgegenschlägt.
Mindestens so wichtig und energieintensiv ist die Kühl- und Prozesstechnik. Hier haben wir in den vergangenen Jahren viel investiert. Im Produktionsprozess müssen wir immer die passenden Temperaturen sicherstellen, etwa für Schokolade und diverse Füllungen.
Wir sind ab diesem Jahr klimaneutral und konnten mit allen Massnahmen unseren Energieverbrauch bereits um 12 Prozent senken. Die Klimaneutralität erreichen wir neben vielen Reduktionsmassnahmen durch ergänzende Kompensationszahlungen. Das Ziel ist aber klar die effektive Klimaneutralität aller unserer Prozesse.
Vor Kurzem wurde das «backhaus» eröffnet. Welche Ziele und Angebote verbinden sich damit?
Anna Hug: Wir haben mit dem Bau und Umzug der Wernli-Produktion eine Konzentration der Kräfte erreicht. Wir konnten auch Produktionslinien optimiert layouten und kürzere Wege in den Abläufen schaffen. Gleichzeitig ist die Pflege einer HUG-Kultur so wesentlich einfacher. Wir stecken viel Energie ins Zusammenwachsen und gemeinsam erfolgreich Unterwegs-Sein.
Wir konnten mit dem «backhaus» und dem darin umgesetzten, innovativen Energiekonzept einen guten Schritt vorwärts machen. Für die Gebäudetechnik brauchen wir keine fossilen Energieträger. Mit der Freecooling-Technologie nutzen wir geschickt Grundwasser zum Kühlen und Abwärme der Prozesse, was sehr innovativ und zukunftsweisend ist. Der nächste Schritt ist ein Ausbau der betriebseigenen Photovoltaik, eben auf dem neuen «backhaus». Aller zugekaufte Strom stammt aus schweizerischer Wasserkraft. Daran möchten wir festhalten. Fast 70 Prozent unserer Energieträger stammen bereits aus erneuerbaren Energien.
Marianne Wüthrich Gross: Wichtig sind neben den grossen Schritten mit Optimierungen bei Neubauten auch die kleinen Schritte bei laufenden Optimierungen – denn bekanntlich macht «auch Kleinvieh Mist!»
Qualitativ hochstehende Zutaten nehmen für Ihre Produkte eine hohe Priorität ein – wie stellen Sie dies angesichts der verschärften Versorgungslage sicher?
Anna Hug: Das ist zurzeit eine Herkulesaufgabe! Wir leisten in der Beschaffungsabteilung Grossartiges unter schwierigen Umständen. Immer mehr und andere Roh- und Packstoffe haben Verfügbarkeitsprobleme und in der Folge preisliche Verwerfungen. Die Energiepreis-Entwicklung beispielsweise wirkt sich über die ganzen Lieferketten aus.
Marianne Wüthrich Gross: Für Einkäuferinnen, die normalerweise Optimierungen in geschicktem Preisverhandeln und in Lagermanagement suchen, ist die Situation zermürbend. Man muss wirklich Extrameilen leisten, um die Fabrikation am Laufen zu halten. Wir sind leider gezwungen, Preissteigerungen weiterzugeben.
Leider sind die Verfügbarkeiten von technischen Komponenten teilweise massiv gesunken und das Beschaffen neuer Anlagen oder von Ersatzteilen birgt viele Unsicherheiten in Bezug auf Lieferfristen und Preise mit sich. Wir sind und bleiben also gefordert. Trotz allem: Wirklich länger andauernde Out-of-stocks hatten wir bisher keine.
Welche Bedeutung nehmen in diesem Zusammenhang die Swissness- sowie Bioqualität und weitere Labelanforderungen ein?
Anna Hug: Wir sind klar kein Biounternehmen. Eine umfassende Bioumstellung steht mit Blick auf unsere Kundenstruktur nicht im Vordergrund, auch aufgrund der hohen Rohstoffkosten namentlich für Zutaten in Bio Suisse-Knospe-Qualität ist eine Bioumstellung auf das ganze Sortiment nicht realistisch. Seit Langem stellen wir jedoch ausgewählte Bioartikel her – und verfügen selbstverständlich über die entsprechenden Zertifizierungen. Als Auftragsproduktionen für Kompetenzmarken diverser bekannter Biovermarkter im Inland und für den Export stellen wir jedoch auch viele Bioprodukte her.
Marianne Wüthrich Gross: Einzelne Zutaten im Importbereich kaufen wir jedoch bewusst in Bioqualität ein, um betreffend Pestizid- und weitere Rückstandsfragen auf der sicheren Seite zu sein. Wir kaufen uns damit ein Stück Sicherheit, beispielsweise bezüglich Pestizidbelastung.
Anna Hug: Wir führen zahlreiche Labelqualitäten in unserem Gesamtangebot wie Urdinkel, halal, IP Suisse. Grundsätzlich lässt sich sagen, je mehr Einschränkungen sie auf einem Rohstoff haben mit zusätzlichen Attributen wie Bio, desto kleiner sind die Märkte und desto schwieriger werden die Beschaffungsketten in Zeiten wie diesen. Wir bekennen uns zu Swissness, also Rohstoffen aus der Schweiz. Wir haben in der Schweiz viele Lieferanten und da hilft manchmal die Nähe, um Lösungen zu finden. Wir realisieren einen grossen Teil unseres Umsatzes in der Schweiz – ein Grund mehr für Swissness. Nebenbei vermerkt: Auch das «backhaus» wurde zu 90 Prozent mit Schweizer Lieferanten erstellt.
Was sind aktuell besonders erfolgreiche Sortimente?
Anna Hug: Mit unserem vielfältigen Tartelette-Sortiment sind wir tatsächlich führend auch betreffend Qualität und Effizienz. Ein beliebtes Produkt auch für Verarbeitungsbetriebe sind z. B. «Kuchenbödeli» für Erdbeer-Törtchen. Dieses Sortiment erlebt einen echten Boom; gerade jetzt nach der Corona-Zeit.
Wir haben uns jetzt entschieden, diesen Bereich auch produktionstechnisch auszubauen. Wir investieren rund 8 Millionen Franken in die Modernisierung unserer Tartelette-Anlagen. Wir gehen nach der Grossinvestition für das «backhaus» weiter mit der Erneuerung unserer Produktion und Technologie – wir stehen jetzt nicht auf die Bremse.
Vielen Dank für das Gespräch!