Lebensmittel-Industrie: Die Bio-Familia AG ist seit Jahrzehnten ein Begriff, bitte geben Sie dennoch einen aktuellen Überblick über Ihre Ausrichtung.
Daniel Bächler: Als Müesli- und Bio-Pionierin hat die 1954 gegründete Bio-Familia AG 1959 das erste Bio-Birchermüesli entwickelt. Der erste Direktor Dr. Caspar Arquint wollte ein Birchermüesli herstellen. Dazu holte er die Erlaubnis der Nachfahren von Dr. Bircher-Benner ein. Die Erlaubnis kam unter der Bedingung, dass das Müesli in biologischer Qualität hergestellt wird. Mit den ersten Müesli-Exporten verhalf die Bio-Familia AG dem Schweizer Birchermüesli zu Weltruhm. Das erste biologische Müesli wurde 1959 produziert, als es noch keine Bio-Richtlinien gab. Stattdessen wurden entsprechende Anbau- und Abnahmevereinbarungen mit Schweizer Bauern gemacht. Somit förderte Bio-Familia den biologischen Landbau in der Schweiz.
Die Mitarbeitenden der Bio-Familia AG setzen sich leidenschaftlich für die Natur und der damit verbundenen nachhaltigen Herstellung von feinsten Müesli-Kreationen für die ganze Familie ein. Alle Müesli werden in Sachseln hergestellt. Die ökologische Nachhaltigkeit liegt der Belegschaft am Herzen – in zahlreichen kleinen Schritten nähert sich die Bio-Familia AG der Vision eines klimapositiven Unternehmens.
Vor Kurzem erfolgte im Unternehmen ein Wechsel zu einer neuen Co-Leitung. Wer ist neu verantwortlich?
Die Bio-Familia AG stellte auf Mitte 2023 die Weichen für die Zukunft neu. Peter Odermatt übergab die Geschäftsführung nach insgesamt 15 Jahren im Unternehmen, seit 2009 in der Leitungsfunktion, an Daniel Bächler und Manuel Dubacher in einer Doppelspitze (Co-Leitung). Mit dieser internen Nachfolgelösung rüstet sich die Obwaldner Müesli-Pionierin für die Zukunft.
Ihr Unternehmen engagiert sich auch bezüglich konkreter Klimaziele – welche Eckpunkte stehen im Vordergrund?
Seit vielen Jahren engagiert sich die Müesli-Herstellerin aus Sachseln für Nachhaltigkeit. So bezieht das Unternehmen 100 Prozent Ökostrom und setzt sich für Kreislaufwirtschaft bei der Verpackung und faire Produktionsbedingungen der Rohstoffe ein. Per Anfang 2023 hat sich das Obwaldner Unternehmen eine Klimastrategie verpasst und konkrete Klimaziele festgelegt. So sollen bis 2030 Scope-1- und -2-Emissionen um 42 Prozent sowie Scope-3-Emissionen um 30 Prozent gesenkt werden. Bis 2050 wird zudem das Netto-Null-Ziel verfolgt. Die Rohstoffe machen den grössten Anteil des Klimafussabdrucks aus. Trotz teilweise kleinen Einkaufsmengen haben einzelne Zutaten eine grosse Auswirkung auf die Ökobilanz.
Der Fokus liegt dabei auf der Verarbeitung von Rohmaterialien wie Getreide, Früchte oder Nüsse und deren Emissionen bei der landwirtschaftlichen Produktion.
Nachhaltige Anbaumethoden werden unterstützt. Ein Beispiel dazu ist die «Regenerative Landwirtschaft».
Verstärkt setzen Sie auf die «Regenerative Landwirtschaft». Was heisst das für Ihre Praxis genau?
Die konventionelle Landwirtschaft befindet sich in der Sackgasse. Eine derart intensive Nutzung der Böden zerstört zunehmend das Wachstum gesunder Pflanzen. Es braucht dringend weitere, innovative Lösungen, denn der Bio-Landbau mit einem Anteil von rund 13 Prozent der Schweizer Lebensmittel kann diese enorme Herausforderung alleine nicht lösen. Ein für die Schweiz neuer Ansatz ist die «Regenerative Landwirtschaft», die sich wissenschaftsbasiert auf die Gesundung unserer Böden fokussiert.
Seit 2022 setzt sich Bio-Familia gemeinsam mit dem Verein Agricultura Regeneratio für die «Regenerative Landwirtschaft» in der Schweiz ein. Die Methode ist wissenschaftlich fundiert und Ergebnisse bzgl. Verbesserung der Bodenqualität werden festgehalten. Wir fördern Betriebe, die ihr Getreide in regenerativer Weise anbauen und unterstützen sie mit einer Prämie. Das Getreide liefern sie dann wie bisher an ihre Mühle. Im Gegensatz zur Biolandwirtschaft gibt es aber keine separate Lieferkette oder Lagerhaltung.
Damit leistet die «Regenerative Landwirtschaft» einen wichtigen Beitrag für gesunde Lebensmittel, mehr Biodiversität sowie den Klimaschutz. Ist der Boden gesünder, sind es auch die Menschen.
Physikalische Verarbeitungsmethoden wie die Extrusion sind grundsätzlich «biokompatibel». Die Labelorganisationen stellen jedoch Zusatzanforderungen – wie ist der Stand der Dinge?
Die Regeln von Bio Suisse bezüglich Extrusion haben sich seit 2021 nicht geändert. Damals hat Bio Suisse die Richtlinien wie folgt konkretisiert: Für Getreide, Hülsenfrüchte, Müllereiprodukte, Getreidemischungen und Müesli wurde definiert, dass eine Extrusion bis max. 120 °C und 20 bar generell zugelassen ist (vorher wurde sie fallweise bewilligt). Werden diese Parameter überschritten, dürfen Extrudate nur zu maximal 10 Prozent eingesetzt werden. Damit wollte Bio Suisse Möglichkeiten eröffnen, ohne gleichzeitig den Grundsatz zu verletzen, dass Knospe-Getreideprodukte so naturbelassen wie möglich sein sollen, gemäss dem Grundsatz «schonende Verarbeitung» beziehungsweise «Minimal Processing». In dem Sinne ist die mit «starken Scherkräften, hohem Druck und hohen Temperaturen arbeitende Extrusion» nur bedingt mit der Knospe-Philosophie vereinbar. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Regeln in naher Zukunft aufgeweicht werden.
Gibt es weitere aktuelle technologische Neu-Entwicklungen, die für Ihre Herstellung interessant sind?
Bei den technologischen Neu-Entwicklungen wird ein Fokus auf die Verbesserung unseres Klimafussabdrucks gelegt. So haben sich beispielsweise energieeffizientere Trocknungsprozesse für Früchte bei unseren Lieferanten bzw. deren Verarbeitenden (Reduktion Scope-3-Emissionen) ergeben. Oder es gibt Neu-Entwicklungen im Bereich Verpackungen, die für uns sehr spannend sind. So gibt es die Möglichkeit, flexible Verpackungsfolien aus Monomaterial mit einer Barriere-Schicht zu beschaffen. Monomaterial schafft die Voraussetzungen für eine Kreislaufwirtschaft. Nun gilt es, die technische Machbarkeit dieses neuen Materials auf unseren Anlagen zu prüfen.
All diese Neu-Entwicklungen verfolgen wir für einen möglichen Einsatz bei uns. Während des Backprozesses des beliebten Knuspermüeslis wird eine grosse Menge an Propangas verbrannt. Momentan werden klimaschonendere Methoden des Backens evaluiert. Zugleich klären wir die Investition in einen Nuss-Röster, welcher grüne Energie nutzt.
Ihr Unternehmen ist stark in Obwalden und der Zentralschweiz verankert – welche Vorteile entstehen daraus und welche Herausforderungen?
Obwalden liegt im Herzen der Schweiz. Damit erhalten wir auf die Marke gespiegelt viel Sympathiebonus. Es ist ein Vorteil, die gesunden Produkte in einer Umgebung herzustellen, die ein Postkarten-Sujet sein könnte. Wir haben das Privileg, dort zu arbeiten, wo andere Ferien verbringen. Gleichzeitig zeigen sich Herausforderungen, da wir von der Anreise her in Obwalden nicht dieselbe Reichweite an Arbeitnehmenden erzielen wie beispielsweise Unternehmen im Kanton Zug.
Passend zu unserem Standort und Image beschaffen wir unsere Rohstoffe, soweit möglich und in ausreichender Menge und Qualität vorhanden, aus der Schweiz.
Welche berufliche Herkunft haben die bei Ihnen Beschäftigten?
Unsere Mitarbeitenden stammen aus diversen beruflichen Hintergründen. In der Produktion sind es häufig Personen aus dem Lebensmittelbereich wie beispielsweise Köche oder Bäcker und Personen mit einer hohen Affinität zu Lebensmitteln und hohen Qualitätsansprüchen wie etwa Lebensmitteltechnologen.
Finden Sie genügend Fachkräfte? Bilden Sie auch selber Lernende aus, für welche Berufe?
Es ist auch für uns eine Herausforderung, ausreichend Arbeitskräfte in den unterschiedlichsten Positionen zu finden. Heute sind nicht mehr nur die Fachkräfte-Positionen davon betroffen. Wir bilden Kaufmann/frau EFZ, Lebensmitteltechnologen EFZ sowie Logistiker/in EFZ aus. Wir schätzen es sehr, dass Lernende oft länger im Betrieb tätig bleiben. Gleichzeitig kehren Praktikanten nach deren Studium häufig als Fachkräfte in unser Unternehmen zurück.
Wir richten nicht nur unsere produzierten familia Müesli, sondern auch unser Unternehmen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden aus. So orientieren wir uns am Credo «gsund schaffe» für unsere Mitarbeitenden und ergreifen zahlreiche Massnahmen dazu.