Lebensmittel-Industrie: Sie übernahmen die Geschäftsleitung mitten in der turbulenten «Corona-Zeit» – wo steht die Hefe Schweiz heute?
Mathias Roost: Ich durfte die Geschäfte der Hefe Schweiz AG im Januar 2021 von meinem Vorgänger, der nach 36 Jahren im Amt seinen Ruhestand antrat, übernehmen. Er hat mir ein kerngesundes Unternehmen übergeben. Daran hat das Corona-Virus nichts geändert – im Gegenteil. Der Umsatz 2020 lag höher als in den Vorjahren. Als Schweizer Produktionsbetrieb waren wir während der gesamten Corona- Zeit stets lieferfähig, was man von unseren Mitbewerbern nicht sagen kann. Nähe ist eben doch ein Vorteil.
Auf der einen Seite stehen wir momentan vor der Herausforderung stark steigender Preise unserer wichtigsten Rohstoffe und Verpackungsmaterialien, zudem werden die Lieferfristen immer länger. Auf der anderen Seite sind unsere Kunden, die versuchen, ihre Einkaufspreise zu reduzieren und Änderungen, etwa bei der Verpackung, möglichst schnell umgesetzt haben wollen. Diesen Spagat gilt es zu meistern, indem wir unsere Prozesse hinterfragen und effizienter gestalten. Nur so, mit einer guten Kundenbeziehung und neuen Produkten im Bereich der Spezialhefen kann sich die Hefe Schweiz gegenüber den ausländischen Mitbewerbern behaupten. Wir sind die letzte Hefe-Produzentin, welche noch den gesamten Produktionsprozess von der Impfung der Reinzucht über verschiedene Fermentationen bis zur fertigen Backhefe alles in der Schweiz mit mehrheitlich Schweizer Rohstoffen durchführt.
Wie wirken sich die Corona-Herausforderungen auf die Unternehmens-Dynamik aus?
Mathias Roost: Die Pandemie hat auch bei uns dazu geführt, dass wir digitaler wurden. Als ich im November 2020 bei der Hefe Schweiz zu arbeiten begann, war ich in der Administration der Einzige mit einem Notebook. Zusammen mit meinem Vorgänger wurden im November sämtliche mögliche Arbeitsplätze auf Homeoffice umgestellt. Zwei Wochen nach dem Entscheid waren wir operativ handlungsfähig. Das Angebot von Homeoffice wird die Pandemie überdauern.
Die Digitalisierung hat damit bei uns erst begonnen. Für meinen Geschmack arbeiten wir in diversen Bereichen noch immer mit zu vielen physischen Dokumenten. Die grösste Herausforderung bei der Digitalisierung ist aber nicht die IT, sondern die Mitarbeitenden; hier hat die Pandemie einen Beitrag im Umgang mit der Technik geleistet. Ich kommuniziere heute beispielsweise per Videokonferenz mit Menschen, die das ohne Corona-Virus nicht gemacht hätten.
Wie wirkt(e) sich die Pandemie auf die verschiedenen Kundensegmente aus?
Mathias Roost: Je nach Standort und Kundenstruktur haben unsere Kunden die Pandemie besser oder schlechter gemeistert. Kunden in Städten, an Bahnhöfen oder anderen Hochfrequenzlagen, welche ein «to go»-Sortiment anbieten, litten zum Teil stark, während Landfilialen profitieren konnten. Bei den Zulieferern von Cateringbetrieben in die Gastronomie, in die Kantinenverpflegung oder in die Luftfahrt sah es düster aus. Diese Kunden fragten bedeutend weniger unsere Produkte nach, weil ihre Nachfrage schlicht wegbrach. Klarer Profiteur der Pandemie ist der Detailhandel, abgesehen von dessen «to go»-Sortiment.
Wie konnte in der Lockdown-Phase die Kundenbetreuung sichergestellt werden?
Marcel Ammon: Zum einen klassisch per Telefon, zum anderen aber auch per Mail. Häufig wünschten die Kunden, sich austauschen zu können. Auf systematische Kundenbesuche haben wir, bis der Bund die Homeoffice-Pflicht abgeschafft hat, jedoch verzichtet.
Eignen sich ergänzend auch die mittlerweile allgemein bekannten virtuellen «Tools»?
Marcel Ammon: Wir sind momentan an der Planung eines Webinars oder zumindest einiger Online- Clips mit Anleitungen zur Anwendung unserer Panatura-Produkte für das Gewerbe. Wichtig sind hierbei eine klare Zielgruppendefinition und die Sicherstellung deren Ansprache. Eine solch virtuelle Kundenansprache ist für die Hefe Schweiz neu … wir lernen viel dabei.
Wie wirkt sich die Branchenentwicklung auf Ihre Geschäftsfelder und Angebote aus?
Mathias Roost: Es gibt leider immer weniger Bäckereien, und der Trend zu Sauerteig und langer Teigführung hat eine geringere Hefenachfrage zur Folge. Wir begegnen dem Umstand heute mit alternativen Produkten. Produkte mit einem Zusatznutzen wie der VitaD Hefe, also eine Hefe mit Vitamin D oder für eine spezifische Anwendung, wie unserer Hefe plus für Herstellprozesse mit TK-Schritt. Gut passend für die veränderte Nachfrage ist auch unser Vorteig-Sortiment Panatura. Diese verarbeitungsfertigen natürlichen Weizenvorteige ergeben bezüglich Volumen, Porenbild und vor allem der Aromatik ein sensationelles Resultat.
Welche Geschäftsfelder die Hefe Schweiz künftig erschliessen wird, lasse ich an dieser Stelle offen – nur so viel: Eigentlich sind wir ein Biotechnologie-Unternehmen und haben sehr viele Möglichkeiten, auch ausserhalb der Backbranche.
Lassen sich die handwerklich-gewerbliche und die industrielle Herstellung heute noch klar unterscheiden – Stichwort «lange Teigführung»?
Mathias Roost: Nein. Auch die zwei grössten industriellen Player in der Schweiz investieren in Anlagen und entwickeln immer neue Produkte mit langer Teigführung. Die Qualität der Industrie hat sich meines Erachtens deutlich verbessert und ist heute auf einem sehr hohen Niveau – vergleichbar mit einem handwerklichen Betrieb. Die Chance des Gewerbes liegt bei Spezialitäten und der Verwendung von lokalen oder ursprünglichen Rohstoffen.
Welche Entwicklungen stehen derzeit im Zentrum?
Marcel Ammon: Geschmack und Aroma ist immer ein Thema und das heisst, dass wir uns mit Sauerteig beschäftigen. Auch das Thema Natürlichkeit und reduzierter Einsatz von Backmitteln ist ein Thema; da unterstützen wir unseren Kunden sehr gerne. Ur-Dinkel, Urgetreide, Fermentation und Bio sind weitere Themen, bei welchen wir Potenzial sehen. Wir haben sehr viel Fachwissen und Kompetenz in unserem Betrieb, was wir unseren Kunden noch viel mehr zur Verfügung stellen möchten, in Workshops, mittels Beratung beim Kunden vor Ort oder bei uns im Backstudio in Stettfurt.
Wie unterscheidet sich die Herstellung der Bio-Hefe zum konventionellen Verfahren?
Mathias Roost: Die Hefe Schweiz AG war 2004 Pionierin im Bereich der Bio-Hefe. Wir lancierten die europaweit erste Bio-Hefe basierend auf Melasse. Wie auch in anderen Bereichen gibt es natürlich einen Unterschied zwischen dem konventionellen und dem Bio-Produkt. Zum einen ist die «Fütterung» unserer Hefe eine andere, eben Melasse aus Bio-Zucker und zum anderen verwenden wir eine andere Stickstoffquelle. Zusammengefasst: Sowohl die Rohstoffe wie der Herstellungsprozess sind unterschiedlich.
Welchen Stellenwert nehmen biozertifizierte und weitere «Clean Label»-Angebote ein – aktuell und mit Blick auf die Zukunft?
Mathias Roost: Eine Differenzierung im Standardsortiment ist nicht möglich, hier herrscht der Preiskampf. Dies bedeutet, dass wir uns differenzieren und spezialisieren müssen. Bio, Clean Label und, aus meiner Sicht noch wichtiger, Clear Label und das Thema Rohstoff-Herkunft sind heute noch Möglichkeiten der Differenzierung. Dieser Bereich wird in Zukunft sicherlich zunehmen.
Hefe Schweiz ist auch im europäischen Markt präsent – was steht hier im Vordergrund und wer ist das Zielpublikum?
Mathias Roost: Wir exportieren erfolgreich Bio-Hefe sowie Panatura-Vorteige. Die Vorteige, weil nichts Vergleichbares, Natürliches auf dem Markt existiert, und Bio-Hefe, weil die nachgefragte Menge für die grossen europäischen Hersteller (noch) nicht interessant genug ist, diese selber herzustellen. Die Zielgruppen im Export sind Industriekunden und Hefehersteller in Deutschland und Frankreich.
Vor rund zwei Jahren erfolgte die Backstudio-Eröffnung – konnten, Pandemie vorbehalten, die Ziele erreicht werden?
Marcel Ammon: Mit unserem Backstudio haben wir eine top Infrastruktur. Wir haben unser Qualitätssystem massiv ausgebaut und können im Backstudio praxisnahe Tests durchführen. Wir können besser auf Kunden-Rückmeldungen reagieren und unsere Kunden besser beraten. Mit dem Backstudio können wir professionell arbeiten und schnell reagieren. Im Corona-Jahr haben wir die Zeit genutzt und unsere Aussendienstmitarbeiter geschult. Die Erwartungen und Ziele sind aus meiner Sicht erreicht worden. Die Investition ist auch ein Zeichen an die Branche: Wir glauben an die Zukunft der Schweizer Produktion. Trotz Corona konnten wir zwei Workshops mit den Themen «Geschmack durch Fermentation» und «Sauerteig, einfach hergestellt» erfolgreich durchführen. Klar hätten wir gerne noch mehr Workshops ausgerichtet.
Welche Angebote und Entwicklungen sind für die Zukunft geplant?
Marcel Ammon: Wir möchten regelmässig Workshops anbieten. Im Oktober haben wir zwei Sauerteig-Workshops geplant. Dabei ist mir wichtig, dass wir unser Wissen an unsere Kunden weitergeben können. Uns geht es nicht darum, eine Produktshow zu veranstalten, sondern mein über die Jahre angeeignetes Wissen mit Mehrwert weiterzugeben. Zudem wäre es schön, wenn wir mehr ERFA-Gruppen und Kunden bei uns begrüssen dürften. Das Zielpublikum in den Workshops sind Fachleute, da uns der professionelle Austausch wichtig ist. Gerne begrüssen wir selbstverständlich auch Betriebe, Gruppen und Personen, welche interessiert an der Produktion der Hefe Schweiz AG sind und eine Führung durch unsere Produktion wünschen.