Im Sommer 2023 wurde ich von Radio SRF 1 nach den Folgen gefragt, welche die Weigerung Russlands, ukrainische Getreideexporte zuzulassen, habe. Daraus ergab sich ein Gespräch über den Zusammenhang von Ernährungssicherheit und Demokratie, das bei der zunehmenden Einwanderung von Menschen aus Afrika in Europa endete. Grund für diese Fragen war die Verbindung meiner beruflichen Tätigkeit für die Ameropa- Gruppe, die international mit Getreide und Düngemitteln handelt, und meinem privaten Engagement für die Schweizer Demokratie Stiftung.
Auch für die Schweizer Lebensmittelindustrie ist es wichtig, immer wieder ins Ausland zu blicken. Wir sehen dort die langfristigen Trends, die uns beeinflussen werden, aber auch die grossen Unterschiede. Im Agrarhandel geht der Trend zur internationalen Konsolidierung weiter. Die ehemalige Agrarsparte von Glencore, die in den letzten Jahren unter dem Namen Viterra aufgetreten ist, fusioniert mit Bunge, was hauptsächlich in der Ölsaatenverarbeitung zu einer weiteren Konzentration führen wird. Die Genossenschaften in verschiedenen Ländern schliessen sich nach wie vor zu immer grösseren Gebilden zusammen. Der regionale und lokale private Agrarhandel hat Nachfolgeprobleme und geht zunehmend in grösseren Unternehmen auf. Auch die weltweite Düngemittelproduktion liegt in immer weniger Händen und besteht bei den Grundprodukten Kali und Phosphate heute schon aus weltweiten Oligopolen. Dies kann zu mehr Effizienz führen, bedeutet aber auch grössere Preissetzungsmacht zulasten der Bauern. Ein weiterer Trend ist der zunehmende Einfluss staatlicher oder staatsnaher Firmen und Fonds aus Russland, China oder Saudi-Arabien auf die Agrarlieferketten. Russland, der grösste und marktbeherrschende Weizenexporteur der Welt, hat die im Land ansässigen ausländischen Firmen enteignet und den Weizenexport in einigen wenigen Firmen unter staatlicher Kontrolle konzentriert. Die staatliche chinesische Cofco hat mit Cofco International eine der bedeutenden international tätigen Agrarhandelsfirmen übernommen, so wie auch Syngenta in chinesischem Staatsbesitz ist. Die Staatsfonds von Saudi-Arabien und Abu Dhabi haben Investitionen in verschiedensten Regionen der Welt getätigt, die von riesigen Landwirtschaftsbetrieben über modernste Hafenanlagen bis hin zu internationalen Handelsfirmen reichen. Unsere Abhängigkeit von politisch gesteuerten Firmen nimmt dadurch zu, wenn sie auch im Unterschied zu anderen Rohstoffen wie Öl oder seltene Erden noch nicht bedrohlich erscheint.
Ein dritter Trend ist die gegenläufige Entwicklung in Sachen Nachhaltigkeit. Unzweifelhaft gibt es weltweit enorme technologische Fortschritte, insbesondere mit widerstandsfähigerem und effizienterem Saatgut. Nachhaltigere Anbaumethoden werden aber vor allem in der EU – und teilweise auch in der Schweiz – verlangt und durchgesetzt. In weiten Teilen der Welt ist unverändert eine Landwirtschaft vorherrschend, die möglichst viel möglichst billig produzieren will. Und auch in der EU oder in der Schweiz sind die Lebensmittelverarbeiter, -verteiler und -kunden noch oft nicht bereit, einen Aufpreis für nachhaltigere Produkte zu zahlen. Nur der Zwang gesetzlicher und regulatorischer Vorschriften bewirkt hier ein – langsames – Umdenken.
Dies ist insofern verständlich, als die Ernährung für viele Menschen auf der Welt unverändert ein existenzielles Problem ist. Während wir Schweizer fürs Essen weniger als 10 Prozent unseres Einkommens ausgeben, muss ein Nigerianer im Durchschnitt 59 Prozent seines Einkommens für die Ernährung aufwenden. Lebensmittelinflation und Preisschwankungen, die wir hier kaum bemerken, werden dort zum existenziellen Problem.
Diese Trends zeigen sowohl eine stärkere internationale Verflechtung der Agrarmärkte als auch grosse Unterschiede in den Anforderungen an die Lebensmittelindustrie. In diesem Spannungsfeld wird die Schweizer Lebensmittelindustrie ihre Zukunft gestalten müssen.
SVI Jahrestagung
SVI Jahrestagung
Datum: 17. September 2024
Ort: Olten (CH)