Liebe Leserin, lieber Leser

Traditionen überliefern Kulturwerte und beeinflussen Bräuche und Sitten über Generationen. Auch die Nahrungsmittelindustrie verfügt über viel Traditionelles. Ein Beispiel dafür ist der Bereich Milchverarbeitung, insbesondere die Herstellung von Käse. Und schon anno dazumal spielte Qualität eine wichtige Rolle, wie ein Blick in alte Schriften dokumentiert: «So eine Käswägete ist fast wie das jüngste Gericht, da kommen die Sünden an die Sonne, da sieht man an den Käsen, wie die Bauern mit schlechter Milch betrogen und haben geglaubt, es merke es niemand. » Mit diesen Worten lässt kein geringerer als Pfarrer und Chronist Jeremias Gotthelf in einem seiner Werke einen Käser sprechen. Das war wohl – in der Schweiz um 1835 – der Beginn der Qualitätskontrolle.

In den vergangenen 180 Jahren hat sich die Käseverarbeitung verändert. Ergänzend zu traditionellen Werten ist immer auch Innovation notwendig, um Erzeugnisse weiterzuentwickeln. Exemplarisch verdeutlicht das die Züger Frischkäse AG in Oberbüren, welche heute unter anderem in der Herstellung von Mozzarella eine führende Stellung eingenommen hat. Die Firmenleitung setzt in der Produktion auf ausgeklügelte Technik und Automation. CEO Christof Züger beschreibt im Interview, wie in seiner Firma mit 220 Angestellten heute Frischkäse rationell, produktiv und rentabel hergestellt wird.

Was hingegen bei Züger und anderen modernen und professionellen Milchverarbeitern und Käseproduzenten gleich geblieben ist: die Qualität. Viele der bekannten Käsesorten haben sich geschmacklich nicht verändert. Jeremias Gotthelf würde heute einen (in der Schweiz hergestellten) Emmentaler im Blindtest wiedererkennen. Das macht die Tradition aus. Den Herstellungsprozess könnte er heute mit dem Know-how von 1835 nicht mehr beschreiben. Da liegen Innovations-Welten dazwischen.

So erfolgreich die Käseproduzenten in den letzten Jahrzenten auch waren: Was die Vermarktung und den Absatz betrifft, verblassen Rekordmeldungen aus früheren Zeiten allmählich. Kürzlich wurde bekannt, dass die Schweiz im zweiten Quartal 2014 erstmals mehr Käse importiert als exportiert hat. Billige Importkäse liegen im Trend, die Nachfrage nach Markenkäse wie Emmentaler und Tilsiter ist dagegen eingebrochen. Und im Frischkäsebereich haben es die Schweizer Hersteller nicht fertig gebracht, Produzenten wie Cantadou und Philadelphia mit einem schlagkräftigen Konkurrenzprodukt zu begegnen. Ein möglicher Grund: Die Balance zwischen Tradition und Innovation geriet aus dem Gleichgewicht, die Kraft der Erneuerung fehlte. Diese Versäumnisse scheinen die Branche jetzt einzuholen.

Christoph Hämmig
Chefredaktor