Sicherheits- und Kostenbewusstsein lösen Selbstverwirklichung ab
Bis zum Ende der 2010er-Jahre gingen Ernährung und Bewegung oft mit Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung einher. Eventuell war dies eine Wohlstandserscheinung. Nun scheinen die sorglosen Jahre in dieser Hinsicht vorbei zu sein. Der Fokus verschiebt sich zurück auf grundlegende Bedürfnisse. Mit der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine rücken Überlegungen zu Sicherheit und Kosten in den Vordergrund. Der Notvorrat gewinnt neue Bedeutung. 54 Prozent der Stimmberechtigten in der Schweiz geben an, über einen solchen zu verfügen. Vornehmlich ältere Generationen bereiten sich damit auf den Ernstfall vor.
Je älter die Generation, desto grösser das Sicherheitsbedürfnis
78 Prozent der Stimmberechtigten wünschen sich eine von Lebensmittelimporten unabhängige Schweiz. 70 Prozent sind bereit, Mehrkosten für in der Schweiz hergestellte Produkte zu tragen. Was fehlt, ist ein generationsübergreifender Konsens. Je älter die Generation, desto grösser das Sicherheitsbedürfnis, desto niedriger die Preissensitivität und desto stärker das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Ernährung. Ältere Generationen haben auch eine klare Vorstellung davon, wie sie den zunehmenden Unsicherheiten begegnen wollen. Der Generation Z (Jahrgänge 1995 – 2009) fehlt hier eine klare Strategie. Den Notvorrat findet man unnötig, für lokal produzierte Güter möchte man nicht mehr bezahlen. Gleichzeitig wünscht man sich aber Unabhängigkeit vom Ausland.
Die Generation Z hat ein geringes Bewusstsein für Ernährungsfragen
Mehr als drei Viertel der Stimmberechtigten interessieren sich für Ernährung und Bewegung. Während sich 77 Prozent der Frauen gut über das Thema Ernährung informiert fühlen, sind es bei den Männern 61 Prozent. Interesse und Informiertheit in Sachen Ernährung und Bewegung nehmen jedoch ab. Der Trend geht eindeutig in Richtung weniger breit verankerter Ernährungskompetenzen. Beispielsweise nimmt der Anteil jener, die mehrmals täglich Gemüse, Salat oder Früchte essen, deutlich ab. 2022 gaben 32 Prozent der Befragten an, drei oder mehr Portionen Gemüse, Salat oder Früchte pro Tag zu essen. 2014 waren es noch 60 Prozent. Angetrieben wird dieser Trend von einem fundamentalen Desinteresse der jüngsten Generation. Dieselbe Generation empfindet auch Prävention, Aufklärung und Ernährungskunde als weniger wichtig. Vor diesem Hintergrund braucht die Aufklärung bei Jungen neuen Schwung.
Bei der Ernährung ist Eigenverantwortung gefragt
Die Bevölkerung wünscht sich nach wie vor eine Gesellschaft, in der die Bürgerinnen und Bürger das letzte Wort haben. Eigenverantwortung steht vor staatlichen Interventionen, Information und Aufklärung vor Steuern und Gesetzen. Im Grundsatz ist dieses Wertebild im Laufe der Befragungsjahre konstant geblieben.
Aus Sicht der Stimmberechtigten leisten Konsumentinnen und Konsumenten sowie ihr Umfeld den grössten Beitrag für ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung. Der von Lebensmittelherstellern und der Getränkebranche geleistete Beitrag wird als deutlich grösser wahrgenommen als in der Vergangenheit. Die Schulen erreichen in der Bewertung einen neuen Tiefpunkt. Es fällt auf, dass die jüngsten Befragten, deren Schulzeit am wenigsten lange zurückliegt, von allen Generationen den Beitrag der Schulen am kritischsten beurteilen.
Nur vier Prozent der Stimmberechtigten fahren regelmässig ins Ausland zum Einkaufen
Obwohl eine starke Präferenz für Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit besteht, wird jährlich für rund 10 Milliarden Franken im Ausland eingekauft. Das ist mehr Geld, als die Eidgenossenschaft für die Landesverteidigung oder die Landwirtschaft ausgibt. Solche Vergleiche vermögen anscheinend nicht zu beeindrucken. Offenbar fehlt dazu ein direkter Bezug oder die Dringlichkeit.
Ökonomisch betrachtet, bleibt der Einkaufstourismus ein bedeutendes Phänomen. Allerdings fahren nur vier Prozent der Stimmberechtigten regelmässig zum Einkaufen ins Ausland. Wer ein tiefes Einkommen hat und nahe der Grenze wohnt, tut dies aus nachvollziehbaren Gründen eher. Rund ein Drittel der Stimmberechtigten befürwortet strengere Regeln für die Einfuhr von Waren. Etwa zwei Drittel finden, die Regeln sollen bleiben wie sie sind oder gelockert werden.
In Krisenjahren werden staatliche Interventionen zur Normalität
Die Einführung einer Zuckersteuer, die den Konsum beeinflussen soll, befürwortet weiterhin nur eine Minderheit (25 Prozent). Die Mehrheitsverhältnisse in dieser Frage sind seit Jahren konstant. Mit nur 17 Prozent ist die Zustimmung in der Deutschschweiz besonders tief. In der Romandie und im Tessin ist die Zustimmung mit 47 respektive 45 Prozent grösser. Insgesamt finden 78 Prozent der Stimmberechtigten eine Zuckersteuer ungerecht, weil sie Ärmere stärker belastet. Gut drei Viertel sind der Ansicht, dass sich Ernährungsgewohnheiten nicht mit Steuern ändern lassen. Der Aussage, dass es genug zuckerfreie oder zuckerreduzierte Alternativen gibt, stimmen 81 Prozent zu.
Eingriffe wie eine Preiserhöhung für zucker-, fett- und salzhaltige Lebensmittel oder das generelle Verbot vermeintlich ungesunder Lebensmittel sind ebenfalls nicht mehrheitsfähig (27 Prozent respektive 28 Prozent Zustimmung). In den letzten Jahren lässt sich jedoch eine Verschiebung hin zu einer grösseren Akzeptanz staatlicher Massnahmen beobachten. Mit den Massnahmen im Rahmen der Pandemie hat sich diesbezüglich eine gewisse Normalität eingeschlichen. Aufgrund der bestehenden Krisen dürfte sich diese Verschiebung fortsetzen.
Der Monitor Ernährung und Bewegung wurde im März 2022 von gfs.bern zum 9. Mal für die Informationsgruppe Erfrischungsgetränke durchgeführt. Die Daten wurden in einer repräsentativen Umfrage mit rund 1'000 stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizern erhoben.
Weitere Informationen unter www.cockpit.gfsbern.ch