Die Weltbevölkerung steigt nach wie vor rasant, jeden Tag um rund 230'000 Menschen oder auf das Jahr umgerechnet um die Einwohnerzahl des grössten EUStaates Deutschland mit ca. 80 Millionen Bürgern. Waren es im Jahre 2000 noch 6.1 Milliarden Menschen, so stieg die Zahl bis Ende 2019 auf 7.7 Milliarden. Gegenüber dem Jahre 1970, das der «älteren» Generation noch sehr präsent ist, hat sich die Menschheit mehr als verdoppelt. Im – zumindest für die Jugend – nicht sehr fernen Jahre 2050 soll nach Schätzungen der UN die Bevölkerung auf knapp 10 Milliarden angestiegen sein, wobei sich die Wachstumskurve entsprechend den Prognosen gegen Ende des Jahrhunderts abflacht.
Im Zusammenhang mit diesem exponentiellen Wachstum, das mitunter auch in einer Kausalität mit der Klimaveränderung stehen dürfte, was aber aus falscher Rücksichtnahme gegenüber der Dritten Welt ein kaum ausgesprochenes Tabu-Thema ist, stellt sich die drängende Frage, wie eine ausreichende Ernährung für diese grosse Anzahl Menschen sichergestellt werden kann. Dies insbesondere auch deshalb, weil die bevölkerungsreichsten Kontinente sich an dem Wohlstandsniveau der industrialisierten «alten Welt» orientieren.
Ausdruck des Wohlstandsniveaus ist nun mal der Fleischkonsum. Christian Jörg, die Nr. 2 der «Saudi Agricultural and Livestock Investment Company» (SALIC), welche Teil des Staatsfonds von Saudi-Arabien ist und die Agrarflächen von mehreren hunderttausend Hektaren auf verschiedenen Kontinenten bewirtschaftet, drückte es in einem Interview des TA vom 03.01.2020 wie folgt aus: «Der globale Fleischkonsum hat sehr stark mit dem Einkommen zu tun: Je mehr Geld da ist, desto mehr tierische Proteine essen Sie. Und weil in vielen Ländern – vor allem Asien und Afrika – die Einkommen steigen, nimmt auch der Fleischkonsum zu.» Die Fleischproduktion seinerseits beruht zu einem wesentlichen Teil auf der Verfütterung von Getreide. Der WWF geht in seiner Studie von 2014 mit dem Titel «Fleisch frisst Land» – auf der Basis von Zahlen der FAO – davon aus, dass rund 60% des Getreides und 70% der Ölsaaten weltweit für die Fütterung Verwendung finden. Beim Weizen liegt die Quote bei rund 50%. «Weizen, Reis, Mais, Gerste, Sorghum bzw. Hirse bilden weltweit die vorherrschende Grundlage der menschlichen Ernährung im Bereich Getreide» (Getreide, Mehl und Brot 2/2019 unter Hinweis auf die OECD/FAO.) Dieser Ansicht ist auch der zuvor zitierte Christian Jörg, welcher die Meinung vertritt, dass die sechs Hauptgetreidearten – einschliesslich Soja (Ölsaat und damit kein Getreide/Familie der Hülsenfrüchtler) – rund 60% des weltweit notwendigen Kalorienbedarfs abdecken.
Fest steht, dass Weizen – praktisch gleichauf mit Reis – eine noch weit grössere Bedeutung hat als alle vorgenannten Getreidearten. Als Proteinquelle ist Weizen nämlich klar die Nr. 1.
Steigt nun die Bevölkerungszahl im prognostizierten Ausmass, was kaum angezweifelt werden dürfte, und geht man davon aus, dass sich der materielle Wohlstand für weite Teile der Weltbevölkerung mehrt (siehe auch Kapitel 3), dann ist es zwingend, dass bis 2050 zusätzliche 60% an Kalorien zur Verfügung gestellt werden können (Quellen: Schweizer Bauer, 15.05.2019/Vortrag Bernhard Lehmann TSM Treuhand bzw. Getreide, Mehl und Brot 2/2019). Die UN soll von der Formel ausgehen: Produktion plus 30% und Konsum/Verbrauch minus 15%. Auch die FIBL geht von einem zusätzlichen Bedarf von 50% aus.
Dem Weizen kommt als bedeutendste Kulturpflanze der Welt in den vor uns liegenden Jahrzehnten eine noch grössere Rolle in der menschlichen Ernährung zu. Doch nicht nur der Bevölkerungsentwicklung und der weltweit festzustellenden Tendenz zu höherem Fleischkonsum («Trotz Vegi-Trend: Die Welt steht vor Fleischboom», TA, 03.01.2020) ist Rechnung zu tragen, sondern vielmehr dürfte auch der Klimawandel – ganz unmassgeblich der Ursachen – starken Einfluss auf die zukünftige Weizenproduktion ausüben.
«Schätzungen zufolge werden die durch den Klimawandel bedingten Verluste in einigen Teilen der Welt bis zu 30% im Jahre 2050 erreichen» (Quelle: vorgenannte Ausgabe Getreide, Mehl und Brot.) Bestätigt wurde diese Aussage von Christian Jörg, der darlegte, dass 2019 – im notabene trockensten Jahr in Australien seit 100 Jahren – die Ertragseinbusse auf den SALIC-Farmen rund 40% betragen habe. «Durch die Beschleunigung der Wachstumsphase wird sich beim Getreide die Kornfüllungsphase verkürzen – mit negativen Auswirkungen auf die Ertragsqualität und -quantität» (Schweizer Bauer, 10.07.2019). Auch wenn weltweit die Lagerbestände nach aktuellen Schätzungen des USDA mit rund 270 Millionen Tonnen (Kampagne 2018/2019) fast rekordhaft hoch sind, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich fast als zwingend erweisen dürfte, den drei Hauptfaktoren, welche das Marktgefüge beeinflussen (Bevölkerungsentwicklung, Fleischkonsum, Klimaentwicklung), nicht nur grösste Beachtung zu schenken, sondern auch entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Schätzungen der FAO/OECD zufolge hat sich die Anbaufläche von Weizen in den letzten 60 Jahren, mit kleineren Ausschlägen von rund 10% bis 15% in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, kaum verändert und pendelte sich im Wesentlichen bei etwas mehr als rund 200 Millionen Hektar ein. Der Nachfrage konnte bisher entsprochen werden, weil der Ertrag pro Hektar – sei es aufgrund von Züchtungsfortschritten, aber auch als Folge des gezielten Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln – fast stetig angestiegen ist. Zudem konnten die Verluste durch eine bessere Infrastruktur (Lager/Silos) reduziert werden, was nicht heissen soll, dass in den Schwellenländern nicht nach wie vor grosse Mengen von agrarischen Rohstoffen vergammeln und verrotten, beispielsweise wegen Feuchtigkeit, Nagern, aber auch Getreidekäfern.
Sollte sich das Klima weiter erwärmen, so geht nach einer Studie – veröffentlicht in der Zeitschrift «Global Change Biology 2019» – der Ertrag um 6% pro Temperaturgradanstieg zurück.
Zudem verschieben sich damit auch langsam die Anbaugebiete, denn Weizen, der seinen Ursprung im Nahen Osten hat, wird derzeit in gemässigten bis mediterranen und subtropischen Gebieten der nördlichen und südlichen Hemisphäre angebaut. Gewinner dieser Entwicklung werden aufgrund der geographischen/klimatischen Lage beispielsweise Russland oder Kanada sein. «Wintergetreide braucht für eine gute Entwicklung einen Kältereiz, der durch eine Temperaturerhöhung in Zukunft vielleicht nicht mehr ausreichend gewährleistet ist» (Schweizer Bauer, 10.07.2019). Russland, welches übrigens auch vor dem Ersten Weltkrieg für die Versorgung der Schweiz eine nicht unbedeutende Rolle spielte, weil man im Rahmen der seinerzeitigen freihandelsähnlichen Verhältnisse auf Importe setzte, konnte zur Zeit der Bolschewiken/ Kommunisten nicht einmal das eigene Volk ernähren.
Mittlerweile ist Russland mit Abstand zum grössten Getreideexporteur avanciert, der die USA um rund einen Drittel übertrumpft.
Zudem liegen Schätzungen zufolge in Russland noch Flächen von der eineinhalbfachen Grösse Deutschlands brach, die bei Bedarf – und vorausgesetzt, dass die entsprechenden Lager-/Transportinfrastrukturen geschaffen werden können – zu mobilisieren wären. Doch hier scheiden sich die Geister. In der westlichen, «zivilisierten», auf die Forschung vertrauenden Welt setzt man vielmehr auf die Ertragssteigerung. «Experten befürchten, dass langfristig die Nachhaltigkeit des globalen Ökosystems gefährdet ist, wenn mehr Land in Produktion gebracht wird. Die günstigste Lösung zur weltweiten Weizenproduktion ist daher die Verbesserung der Weizenproduktivität» (siehe vorgenannte Publikation Getreide, Mehl und Brot).
In der Schweiz hat sich im Verlaufe der letzten Dekaden im Hinblick auf die Produktivität (Hektarertrag) sehr wenig getan. Die Zeiten immer höherer Mengen pro Fläche – zumindest beim Brotgetreide – scheinen eindeutig vorbei zu sein.
Neue Sorten «performen» grundsätzlich gut, verhalten sich im Verlaufe der Jahre manchmal etwas anders, als man sich dies vorgestellt hat, und sind auch nicht vor einer gewissen Degeneration gefeit. Ob eine weiter intensivierte Forschung in Richtung Ertragsoptimierung wirklich mit signifikanten Fortschritten verbunden ist, dürfte völlig offen sein. Zu bedenken ist darüber hinaus, dass die Zeitspanne der ersten Versuche bis zur Kommerzialisierung einer Weizensorte rund 15 Jahre beansprucht. Diese Zeit wollen sich gewisse Kreise nicht mehr geben. Eine betont landwirtschaftskritische Journalistin der NZZ ohne agrarischen Hintergrund verbreitete in der Zeitungsausgabe vom 03.01.2020 beispielsweise ein flammendes Plädoyer zugunsten der Gentechnik. Weil auch die Wissenschaftler, welche sich in den Elfenbeintürmen verschanzt haben und uns während Jahren – glücklicherweise erfolglos – weismachen wollten, dass gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eine ganz neue Agrarproduktion ermöglichen würden, inzwischen aber einsehen mussten, dass die Menschen in Europa ihnen nicht folgen, hat man eine andere Taktik eingeschlagen. Das Zauberwort heisst «Genome-Editing», was zwar kaum jemand versteht, aber als weiterer «grosser Forschungsdurchbruch» verkauft wird. In der NZZ vom 22.01.2019 wird diese «GVOlight- Methode» wie folgt definiert: «Neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas, Talen oder ODM erlauben äusserst gezielte Eingriffe in das Erbgut von Pflanzen. Sie verändern diese auf eine Weise, wie das auch natürlich geschehen könnte. Im Gegensatz zur alten Gentechnik werden nicht unbedingt artfremde Gene eingefügt. So lässt sich am Endprodukt nicht feststellen, ob eine erwünschte Mutation durch herkömmliche Züchtung oder einen gezielten Eingriff ins Genom zustande gekommen ist.» Einmal mehr – wie beim klassischen GVO – wird uns das «Blaue vom Himmel erzählt », nämlich drastisch geringerer Pestizideinsatz, Trockenresistenz, verlängerte Haltbarkeit etc., etc. Als wäre der Euphorie noch nicht genug, schreibt die NZZ vom 05.12.2019: «Wie soll man als Anleger mit einer Technologie umgehen, die das Potenzial hat, die Welt zu verändern?» Doch die «Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht».
Der EuGH hat nämlich entschieden, die neuen Verfahren juristisch gleich zu behandeln wie die herkömmliche Gentechnik. Der üblicherweise in solchen Bereichen auf Kohärenz bedachte BR hat jedoch im November 2018 den Entschluss gefasst, dass diese neue Technologie in der Schweiz etwas liberaler reguliert werden soll.
Mit anderen Worten: «Die Produkte, die beispielsweise mit Crispr/Cas hergestellt werden, sollen nicht zwingend als gentechnisch veränderte Organismen gelten müssen » (NZZ, 22.01.2019). Wenn die Schweiz vorgibt, in einem solchen – zentralen – Bereich einen Alleingang wählen zu können, obwohl dies nach Meinung von verschiedensten Fachleuten schlichtweg nicht möglich ist, dann kann bestenfalls von einer netten Geste, einem nicht ganz ehrlich gemeinten «Bückling» gegenüber der führenden Schweizer Exportbranche gesprochen werden. Oder etwas profaner ausgedrückt: «Honni soit qui mal y pense».
Eine völlig andere Sicht der Dinge wird in «Bio-/Demeter-Kreisen» vertreten. So setzt man sich in einem bemerkenswerten Artikel von BEITRÄGE/CONTRIBUTIONS, dem Magazin zur Förderung der biologischdynamischen Landwirtschaft, Demeter, Ausgabe 4/2019, mit der Frage auseinander, ob man mit einem flächendeckenden Anbau von Bio in der Lage wäre, 9 Milliarden Menschen im Jahre 2050 zu ernähren. Die kurze Antwort hiess: Ja, aber … «Die Landwirtschaft allein aber kann die Herausforderung nicht meistern, das ganze Ernährungssystem muss sich ändern. Der Anteil der tierischen Produkte und die Verschwendung von Lebensmitteln müssen halbiert werden. Das hat eine vom FiBL geleitete Studie ergeben.» Fest steht, dass sich bei einer integralen Umstellung auf Bio-Produktion die Ertragslücken – bei Beanspruchung der bestehenden Landflächen – nicht unmassgeblich vergrössern würden. Es wird im vorgenannten Magazin unter Verweis auf die Expertengruppe von Lücken im Bereich von 8% bis 25% und beim Landbedarf von Zusatzflächen von 16% bis 33% gesprochen. Diese auch nach unserer Erfahrung absolut zutreffenden Zahlen dürften auch den BR mitunter dazu bewogen haben, die beiden hängigen Initiativen (Pestizid-Initiative, Trinkwasser-Initiative, siehe auch Zwischenbericht GMSA 2019, Kapitel 1) abzulehnen, weil damit die Inlandproduktion geringer ausfallen würde. Zwei Grundüberlegungen liegen im Fokus derjenigen Kreise, welche mit Überzeugung hinter der Bio-Agrarwirtschaft stehen. Erstens sind sie der Auffassung, dass ein Drittel der Agrarerzeugnisse – unter Verweis auf Angaben der FAO – vom Acker nicht auf den Teller der Menschen gelangen. Ihrer Auffassung zufolge sollte es möglich sein, diesen «Food-Waste» um 25% bis 50% zu reduzieren, was als Teil der Lösung angesehen wird. Zweitens – und dieser Punkt greift ziemlich stark in das Ernährungssystem – wird von einer kraftfutterfreien, graslandbasierten Tierproduktion gesprochen, «die Ackerland freigibt und auf Flächen ausweicht, die sich nicht für den Anbau von Kulturen eignen». Insgesamt – so die Meinung der Autoren – sollte der Anteil der tierischen Produkte an der Gesamtproteinversorgung der Menschheit von 38% auf 11% sinken, «bei vollständiger Vermeidung der Konkurrenz zwischen Futtermittelproduktion und Nahrungsmittelproduktion. Wir würden unseren Proteinbedarf zunehmend mit Hülsenfrüchten decken» (B/C, Ausgabe 4/2019).
Auch wenn die Weltmeister des Fleischkonsums, die Amerikaner und Australier, mit einem Verbrauch pro Kopf, der dem doppelten der Schweiz entspricht, sich wohl kaum 40 leicht mit dem Gedanken anfreunden dürften, die Essgewohnheiten etwas anzupassen, so steht dennoch fest, dass die nicht graslandbasierte Fleischproduktion (Transformation von Getreide zu Fleisch) der langfristig ausreichenden Lebensmittelversorgung entgegensteht.
Darüber hinaus ist eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft wohl kaum der Schlüssel, um die Erträge auch in den kommenden Dekaden sicherzustellen, weil der Bodenverlust schlichtweg zu gross ist (siehe Geschäftsbericht GMSA 2012, Kapitel 4). «Die Nahrungsmittelverfügbarkeit wurde in den letzten Jahrzehnten durch eine anhaltende Intensivierung der Landwirtschaft stark erhöht. Erhebliche Umweltauswirkungen, Stickstoffüberschüsse, die Eutrophierung (Überdüngung) von Land und Gewässern sowie eine Zunahme der Treibhausgasemissionen und der Biodiversitätsverluste zeigen die Kehrseite dieser Entwicklung» (B/C, Ausgabe 4/19). Und trotzdem schreibt die Journalistin in ihrem bereits zuvor kommentierten NZZ-Artikel in der Diktion einer Pressesprecherin eines Pharma-Unternehmens: «Es waren Herbizide, Insektizide und Fungizide, die mithalfen, die Baby-Boomer-Generation zu ernähren.» Sind das Bienensterben oder der Artenschwund (siehe Geschäftsbericht GMSA 2017, Kapitel V) wie auch das «Bioland Schweiz» (siehe Geschäftsbericht GMSA 2011, Kapitel 4) eine Fiktion oder könnte die in verschiedenster Hinsicht ziemlich verfahrene Situation auch im Hinblick auf die ausreichende Versorgung im Jahre 2050 nicht allenfalls Anlass sein, sich mit der biologisch-dynamischen Landwirtschaft (siehe Geschäftsbericht GMSA 2012, Kapitel 3) sehr intensiv auseinanderzusetzen?
Quellen und Informationen: Der Fachartikel ist ein Auszug aus dem Geschäftsbericht 2019 der Groupe Minoteries SA (GSMA) und erschien in zwei Teilen:
Der erste Teil erschien in der August-Ausgabe.
Geschäftsbericht 2019 der Groupe Minoteries SA (GSMA)
Groupe Minoteries SA: www.gmsa.ch