Der Konsum von tierischen Produkten ist nicht alternativlos und wird offensichtlich zunehmend nachgefragt. Die Fleischtheke bekommt Konkurrenz, an deren Entwicklung die Hochschule für Ingenieurwissenschaften in Sion beteiligt ist. Hier werden Maschinenbau, Verfahrens- und Produktentwicklung parallel und vernetzt mit Industrie und Investoren vorangetrieben.
Die zentrale Forderung bei der Entwicklung von Alternativen zu portionierten Fleischbeilagen von typischen, mitteleuropäischen Menüs ist es, Protein aus Hülsenfürchten, so zu verarbeiten, dass das Produkt gut verdaulich, bissfest und saftig, attraktiv gefärbt und wohl riechend, CO₂-sparend produziert und fair gehandelt ist. Dieser Mix aus Qualitätsansprüchen wird entscheiden, ob die Verbraucher dauerhaft ihr Verhalten ändern.
Mit neuen Verfahren pflanzliche Proteine nutzen
Die zentrale Idee der Verfahrensentwickler ist, pflanzliches Protein aus Hülsenfrüchten, welches nativ quasi kaum verdaulich und globulär ist, in Lösung zu bringen und beim Abkühlen eine molekulare und makroskopische Struktur aufzuprägen, die den gewünschten haptischen Eindruck gibt. Die technischen Lösungsansätze sind in diesem Rahmen entsprechend vielfältig. Vom Mischer, über Cutter, Pressen, Kochstrecken, bis hin zu Scherzellen und verschiedenen Extrudern sind viele traditionelle und nur wenige neuartige Apparate im Einsatz.
Das Team um Michael Beyrer setzt auf Doppelschnecken-Extruder, die sich durch eine hohe Flexibilität bei der Prozessgestaltung auszeichnen. Die Geräte mischen, pumpen, komprimieren, erhitzen, kühlen – Operationen, die nötig sind, um eine Art Proteinmehl thermisch-mechanisch bei hoher Produktionskapazität zu verarbeiten. Die Performance von Extrudern wurde immer weiter verbessert, indem Leistungsparameter wie Rotationsgeschwindigkeit, Wärmedurchgang, Temperaturbeherrschung, Fabrikationspräzision und Verdichtung erhöht wurden. Für ein schnelles und produktschonendes Nassextrudieren und Garen von Protein werden solche Features benötigt. Beim Abkühlen und Strukturieren der Proteine wird hingegen wenig, aber gut definierter Scherstress, eine laminare Strömung in relativ dicken Schichten und mehr Prozesszeit für das Kühlen verlangt, als bei Extrusionen üblich. Ein scheinbar konzeptioneller Widerspruch. Das Hochschul-Team der HES-SO Valais-Wallis löste diesen durch die Konstruktion neuer, an die Extruder gekoppelter Prozessgruppen.
Herstellung mit Pilotanlage erfolgreich
Eine dieser Prozessgruppen wurde als Prototyp im Pilotmassstab angefertigt und im Rahmen von zwei Bachelorprojekten bezüglich der Funktionalität getestet. Inzwischen wurden die Arbeiten im Rahmen eines Innosuisse-Projektes deutlich intensiviert. Im Rahmen der Funktionalitätstests wurde ermittelt, dass die entwickelten Apparate erlauben, den mechanischen Leistungseintrag am Extruder und den statischen Druck auf rund 20 Prozent im Vergleich zu klassischen Kühldüsen zu reduzieren. Im Gegenzug kann der Wassergehalt der Extrudate angehoben werden. Allein diese Massnahmen haben einen positiven Einfluss auf Textureigenschaften, wie die Kaubarkeit oder Saftigkeit von Nassextrudaten. Weiterhin wurde in Machbarkeitstests befunden, dass die typische Zutatenliste auf ein bis zwei Proteine reduziert werden kann. Beispielsweise kann auf die Zugabe von wasserbindenden Additiven verzichtet werden und das selbst, wenn ein Erbsenproteinisolat verarbeitet wird. Ziel ist es jeweils, zumindest Layer von Proteinen zu erzeugen (siehe Bild). Dieses sind einige Vorteile eines Verfahrens, welches technisch noch nicht ausgereift ist, aber welches ein interessantes Entwicklungspotenzial markiert.
Weiterentwicklung zur Industriereife
Das Verständnis unter welchen Bedingungen pflanzliche Proteine, und zwar aus vielfältigen Quellen, sich zu Fleischsubstituten verarbeiten lassen, ist in einem frühen Stadium. Beispielsweise gibt es im Vergleich zu anderen Rohstoffgruppen keine standardisierten Methoden, die klar anzeigen, welcher Rohstoff geeignet ist. Werte wie die Proteinkonzentration im Pulver, Löslichkeit oder Wasseraufnahmefähigkeit sind grundsätzlich interessant, lassen jedoch keine klare Schlussfolgerung für die Verarbeitungseigenschaften zu. Verschiedene rheologische und thermisch-analytische Verfahren könnten diese Lücke schliessen helfen. Die HES-SO Valais-Wallis führt solche Rohstoffcharakterisierungen zunehmend und systematischer durch und versucht Korrelationen zu Endprodukteigenschaften zu identifizieren. Diese sollen zukünftig auch eine effektive und automatisierte Prozesskontrolle am Extruder erlauben. Ein Beispiel wird gelegentlich in der Literatur präsentiert und besteht in Inline-Viskositätsmessungen. So könnte prozessintegriert die Viskosität gesteuert und damit geeignete Fliessprofile erzielt werden, die Voraussetzung für die Proteinstrukturierung sind. Dazu muss neben neuer Prozessanalysetechnik am Extruder die Echtzeitdatenauswertung für diese spezifische Produktgruppe entwickelt werden.
Die Industriereife von neuer Prozesstechnik und Verfahren wird oft erst nach einigen Jahren Entwicklungsarbeit erreicht. Mehrere Prototypen müssen gebaut und auch im industriellen Umfeld getestet werden. In dem hier beschriebenen Entwicklungsvorhaben kann mit diesem Schritt in ca. ein bis zwei Jahren gerechnet werden.
Interdisziplinäre Praxisforschung
Die Forschungsgruppe «Food and Natural Products» der HES-SO Valais-Wallis arbeitet interdisziplinär mit einem Fokus auf dem Bereich Lebensmittelverfahrenstechnik. In aktuellen Forschungsprojekten werden Lebensmittelsysteme wie Fleischanaloge, Molkenproteine, Pulver und Aromen in Kombination mit Techniken wie Extrusion, gepulste elektrische Felder, kalte atmosphärische Plasmen und Mikroverkapselung weiterentwickelt. Oft beginnt die Entwicklungsarbeit mit einer Modifikation der Prozesstechnik und erstreckt sich bis hin zur Prüfung der Produktfunktionalität.
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