Gewiss: Es gab zu Beginn der 1980er-Jahre ganz verschiedene Pioniere mit sehr unterschiedlichen Motiven. Deshalb sind die in diesem kurzen Beitrag kaum zu vermeidenden Generalisierungen mit Vorsicht zu geniessen. Die Reformhäuser als Verkäufer von Bioprodukten waren damals schon da. Sie standen in der Tradition der schon bald hundertjährigen Lebensreformbewegung und fokussierten eher auf gesundheitliche Aspekte als auf die Entwicklung einer neuen Landwirtschafts- und Handelskultur. Ähnlich orientierten sich die neu gegründeten Länden vor allem in Deutschland, die «Naturkost» ins Zentrum rückten und mit viel Wissen zu den Themen Gesundheit und Ernährung aufwarteten.
Bioläden mit sozialen und ökologischen Ambitionen
Eine ganz andere Ausrichtung hatten diejenigen, welche man summarisch als «Alternativläden» bezeichnete. Oft wollten sie ganz einfach als Quartierladen angesehen werden. Sie übernahmen Lokale, die dem «Lädelisterben» zum Opfer gefallen waren. Sie sahen sich als soziale Institution im Quartier und bauten gelegentlich einen Hauslieferdienst auf, gewissermassen in der Nachfolge der früheren Milchmänner. Sie betonten neben ihrer sozialen die ökologische Aufgabe, indem sie enge Beziehungen mit Biobauern aufbauten. Sehr oft war ihre Trägerschaft ein Verein oder eine Genossenschaft. In Bern hiess ein derartiger Laden «Produzenten-KonsumentenGenossenschaft», was einem Programm gleichkam: Produktion und Konsum sollten möglichst kurzgeschlossen werden. Denn man war überzeugt, dass viele Übel in der Lebensmittelbranche vom übermächtigen Zwischenhandel verursacht waren. Als ein Lieferant seinen Vertrieb dem regionalen Verteiler übergeben wollte, wehrte sich dieser Laden. Sie könnten sich damit nur einverstanden erklären, wenn Herr Stettler, der Chauffeur, der jeweils lieferte, nicht entlassen würde. Die soziale Verantwortung endete nicht an der Ladentüre. Mit einer Produktionsplanung wollte man den Bauern Absatz und Preissicherheit geben. Dass der Einkauf bei möglichst vielen verschiedenen Produzenten sehr aufwendig war (auch für die Produzenten, die Kleinmengen zu liefern hatten), zeigte sich erst allmählich an der eigenen Überforderung und der schlechten Entlöhnung der Ladenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen.
Ein Grosshandel mit kooperativen Ambitionen§
Dass nicht alle Produkte des wünschbaren Ladensortiments regional beschafft werden konnten, schuf gegen Mitte der 1980er-Jahre das Bedürfnis nach einem Biogrosshandel. Grosshändler waren oft Ladengründer mit Talent für die Warenbeschaffung, die aus der Nebentätigkeit ein Hauptgeschäft entwickelten. Solche Regionalgrossisten entwickelten sich in allen Landesgegenden der Schweiz. Ungelöst war zunächst die Beschaffung von Produkten aus dem Süden, Frankreich und Italien. Diese Aufgabe war am ehesten gemeinsam zu lösen. Sieben Verteiler und Vermarkter gründeten 1989 mit gleichen Anteilen eine gemeinsame Gesellschaft, die Via Verde AG, welche den Import und den Grosshandel in der Schweiz übernahm. Zwar handelte es sich um eine AG. Die Idee dahinter entsprach aber eher derjenigen einer Einkaufsgenossenschaft. So wie es bei Bioläden soziale und ökologische Motive gab, die über die eigenen unternehmerischen Ziele hinaus reichten, gab es auch im Grosshandel Motive, die über den unternehmerischen Zweck im engeren Sinn hinauswiesen. Als Stichwort dazu ist «Kooperation» sicher am angemessensten. So wurde der Einkauf bei einer sizilianischen Produzentengenossenschaft (Agrumen, Trauben, Gemüse) eher als Dienstleistungs- denn als Handelsgeschäft abgewickelt: Via Verde hatte die Funktion eines Agenten, der die Bestellungen bündelte und Import und Logistik in der Schweiz abwickelte. Die Preise wurden transparent gehandhabt und mit einer Nachkalkulation pro Import definitiv festgelegt und fakturiert. Es bestand zwar kein vertraglich festgelegtes Gebietskartell, aber Verteilregionen, auf welche gegenseitig Rücksicht genommen wurden. In diesem Sinn wurden Wertschöpfungsketten aufgebaut, die transparent gehandhabt wurden und die auch Drittlieferanten (von Fleisch, Brot, Trockenprodukten) im Sinn einer «Huckepack-Dienstleistung» zur Verfügung standen.
Entwicklungen und ihre Dynamik
Was hier kurz und auch verkürzt dargestellt wird, muss den Kenner der Entwicklung zu manchen Ergänzungen veranlassen. Denn die zwanzig Entwicklungsjahre nach der Gründungsphase Mitte der 1980er-Jahre verliefen äusserst dynamisch (was die quantitative Entwicklung betrifft) und immer wieder auch disruptiv, was die Kooperations- und Wettbewerbsverhältnisse anbelangt. Dies hat einerseits mit dem schnelllebigen Produktbereich der Früchte, Gemüse, Milch- und Soya-Produkte zu tun, die im Zentrum der Geschäftstätigkeit der hier skizzierten Grosshandels- und Verteilerszene standen. Andererseits entwickelten sich neue Player im Markt, während andere aufgaben oder fusioniert wurden. Heute gibt es nur noch eine einzige Unternehmung der damaligen Grosshandelspartner, die mehr oder weniger in der damaligen Form noch besteht. Wenn es darum geht, eine Idee zu illustrieren, die einigen der kooperierenden Biogrosshändler vorschwebte, dann müssen wir einen Blick in den Bereich der Biotextilien werfen. Es soll keineswegs suggeriert werden, dass es dort einfacher wäre, Strukturen systematisch zu entwickeln. Der Ausgangspunkt war ein anderer. Während hier einige teils recht eigenwillige Pioniere und Quereinsteiger in ihrem schnelllebigen Geschäft mehr oder weniger gut zusammenwirkten, machte sich dort ein Textilfachmann mit einer langfristigen Vision an die Arbeit. Gemeint ist Patrick Hohmann, der Gründer der Garnhandelsfirma Remei AG, für den der Begriff der Wertschöpfungskette nicht einfach ein abstrakter Begriff für lose angeordnete Elemente von der Produktion über die Verarbeitung bis zum Detailhandel war. Während vieler Jahre arbeitete er daran, die Glieder der Kette sozial und ökonomisch real ineinanderzufügen. Solches kann nur gelingen, wenn die einzelnen Mitglieder in der Kette ein Bewusstsein des Ganzen entwickeln und entsprechend diesem Bewusstsein handeln. Es ist ein anderes Bewusstsein als dasjenige des Einkaufsmanagers, der mit einigen Qualitäts- und Preiskriterien loszieht, die möglichen Lieferanten checkt und sich mal für diesen, mal für jenen entscheidet. Es handelt sich um ein Bewusstsein langfristiger Verbindlichkeit. Zu den Partnern gehört Coop mit der Textilmarke Naturaline. 2002 erhielt Remei gemeinsam mit Coop den «Award for Sustainable Development Partnerships» der UNO.
Die Dynamik der ersten Entwicklungsjahrzehnte im schnelllebigen Biogrosshandel mit Frischprodukten und die sehr unterschiedlichen Pionier-Persönlichkeiten in diesem Bereich erschwerten eine konzeptionelle, auf Kooperation ausgerichtete Entwicklung, wie dies die Firma Remei erreichte. Eine umfassende Fusion der grössten Unternehmen zur Bio Partner Schweiz AG war die Antwort. Deren Geschäftstätigkeit bewegt sich auf einem ganz anderen professionellen Niveau, als dies den Unternehmen der 1980er- und 1990er-Jahre möglich gewesen war. Doch auch in dieser Unternehmung lebt beispielsweise die Idee, dass Partnerschaften mit Lieferanten nur nachhaltig zu gestalten sind, wenn deren Bedürfnisse auch in wirtschaftlicher Hinsicht durch den Abnehmer ernst genommen werden – eine Idee, die in einem gewissen Spannungsverhältnis zur propagierten Idee der Marktwirtschaft steht. Während hier die Selbstverantwortlichkeit das Mass der Dinge ist, müsste dort eher vom Ziel der Mitverantwortlichkeit gesprochen werden.