Speditionen zählen zu den «System relevanten Organisationen». Was bedeutet das konkret?
Wir stellen sicher, dass die nationalen und internationalen Lieferketten weiterhin nahtlos funktionieren – auch in der Krise.
Welche rechtlichen Massnahmen, Muss- und Kann-Bestimmungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat Dachser Schweiz wie umgesetzt?
Dachser hat die vom Bundesrat vorgeschriebenen Schutz- und Hygienemassnahmen eingeführt. In allen Betriebsbereichen stehen Desinfektionsstationen zur Verfügung. Wir stellen auch allen Mitarbeitenden Hygienemasken und sterile Handschuhe zur Verfügung. Das Tragen ist jedoch fakultativ. Mitarbeitende im Bereich Administration arbeiten im Homeoffice. Die Arbeitsplätze in den einzelnen Abteilungen wurden in räumlich getrennte Gruppen aufgeteilt, um die Gefahr eines Totalausfalls einer Arbeitsgruppe zu minimieren. Ausserdem erwarten wir von unseren Mitarbeitenden im Fall einer Erkrankung oder einer
Erkrankung in der Familie eine Selbstisolation von 14 Tagen. Wir sorgen auch dafür, dass alle Mitarbeitenden über staatliche und betriebliche Anordnungen stets auf dem Laufenden gehalten werden. Dabei haben wird ein offenes Ohr für psychische Probleme im Zusammenhang mit der Corona-Krise oder Probleme beim Arbeiten im Homeoffice.
Wie mussten Sie die betrieblichen Abläufe bei Dachser verändern, um Corona-konform zu sein?
Für diejenigen Mitarbeitenden, die im Homeoffice arbeiten, sind teilweise Kurierfahrten eingerichtet worden. Die Arbeitsplätze im Betrieb wurden
umgestellt, um die Distanzregeln einzuhalten. Arbeitszeitmodelle wurden angepasst. Neu werden zur Kommunikation intensiv Videokonferenzen
genutzt.
Haben Sie Kurzarbeit angemeldet? Oder mussten Sie gar Personal entlassen?
Wir haben motivierte und gut ausgebildete Mitarbeitende, die sich mit dem Unternehmen stark identifizieren. Ihr Know-how und unsere Infrastruktur sichern unsere Stellung als Premium-Logistikdienstleister in der Schweiz. Wir haben daher nicht die Absicht, diese Mitarbeitenden wegen der Krise zu entlassen. Es gibt ein Leben nach der Krise, und dann brauchen wir alle wieder. Wir mussten aber aufgrund der geringeren Ladungsvolumen per 1. Mai 2020 Kurzarbeit anmelden.
Wie gut waren Sie auf die Krise vorbereitet? Gibt es ein Krisenteam, das regelmässig tagt oder gab es das schon vorher?
Es gab schon immer ein Krisenteam in unserem Regional Office in der Schweiz und kleinere Teams in jeder Schweizer Niederlassung. Diese haben sich bisher vor allem mit den Auswirkungen von Verkehrsproblemen wie z.B. Schliessung des Gotthardt, Streiks in Frankreich, Flugstornierungen wegen Vulkanausbruch und hohen Volumenschwankungen befasst. Neu müssen sie nun die Pandemieherausforderungen meistern. Selbstverständlich stimmen sich diese Teams fortlaufend eng untereinander, auf internationaler Ebene und mit dem Head Office in Deutschland ab.
In wieweit haben sich ihre Transportvolumen im nationalen und grenzüberschreitenden Verkehr, bzw. in der Luft- und Seefracht auf Grund der COVID-19-Pandemie verändert? Oder hatten sich die Volumen schon aufgrund der sich abzeichnenden Rezession in Europa ab letztem Quartal 2019 verringert?
Im Vergleich zum Jahr 2019 haben wir seit dem Lockdown rund 22 Prozent weniger Sendungsvolumen. Die verschiedenen Routen sind aber unterschiedlich betroffen. Im Verkehr von und nach Frankreich und Italien sind die Volumen signifikant gesunken. Im Verkehr mit Deutschland liegt der Rückgang bei knapp 15 Prozent. Im Luft- und Seefrachtverkehr war in den ersten drei Monaten ein leichter Rückgang feststellbar.
Hat sich der Margendruck in der Speditionsbranche in der Schweiz verstärkt?
Grundsätzlich gab es schon immer einen hohen Margendruck. Aufgrund der Corina-Krise haben wir jedoch teilweise höhere Kosten wegen längerer Standzeiten an Grenzen, Verladerestriktionen in einzelnen Ländern, Fahrplanänderungen im Luft- und Seefrachtverkehr etc. Wir geben diese Kosten jedoch nicht an unsere Kunden weiter und erwarten im Gegenzug keine Forderungen nach Frachtkostensenkungen. Bis heute hat sich unsere Kundschaft auch entsprechend verhalten. Gemeinsam werden wir mit fairen Preisen und fairer Vergütung die Corona-Krise durchstehen und den Grundstein für zukünftiges
Wachstum legen.
Ist es jetzt einfacher, national just-in-time zu liefern, aber schwerer international?
National ist es grundsätzlich einfacher, auf Termin zu liefern. Das liegt u.a. an den geringeren Distanzen, weniger Schnittstellen und keinen Grenzübertritten und Verzollungen. Die einheitlichen Vorgaben des Bundesrats machen es ebenfalls leichter. International gibt es in allen Ländern, in Deutschland sogar in den einzelnen Bundesländern, unterschiedliche Vorgaben bezüglich Schutzmassnahmen, was Ursache für Verspätungen sein kann. Unser Netzwerk ist aber weiterhin 100 Prozent leistungsfähig. Unser Leistungsgrad international wie auch national ist trotz Corona-Krise hervorragend. Ein Beispiel: Seit Beginn der Corona-Krise Ende Februar hat Dachser Air & Sea Logistics 30 Flugzeuge gechartert und insgesamt über 60 Millionen Atemschutzmasken sowie medizinische Artikel wie persönliche Schutzausrüstung und Schutzhandschuhe für seine Kunden transportiert.
Ist die Krise ein Digitalisierungstreiber oder würgt sie mangels Liquidität alle Investitionen ab?
Dachser war bei der Digitalisierung in der Logistikbranche von Anfang an ganz vorne mit dabei. Ein einheitliches IT-System und Regelwerk bestimmen die Prozesse in allen unseren Logistikstandorten und denen unserer Partner weltweit. Aktuell wickeln wir über 90 Prozent aller Speditionsaufträge elektronisch ab. Wenn wir Waren für unsere Kunden transportieren, dann eilen ihnen die Sendungsinformationen in digitaler Form stets voraus. Auch unsere Lageraktivitäten, Angebotswesen und Abrechnungssysteme sind IT-gesteuert. Unsere webbasierten Tools verbinden unsere Kunden direkt mit den Transport- und Warehouse-Systemen von Dachser. Mehr als 29.000 Kunden weltweit nutzen die vielfältigen Connectivity-Lösungen unseres Unternehmens. Ich gehe davon aus, dass die Corona-Krise Treiber für eine weitere Digitalisierung der Prozesse wird.
Wie geht es den Auszubildenden bei Dachser?
Unseren Auszubildenden geht es gut. Auch weil sie den Lehrabschluss ohne Prüfung bestanden haben. Da ist ein gewisser Druck weggefallen. Wir werden alle Auszubildenden in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis übernehmen – Covid-19 hin oder her. Wir haben diese jungen Menschen während drei Jahren gut ausgebildet und wollen mit ihnen auch die Zukunft angehen.
Werden Sie im August neue Auszubildende einstellen?
Sicherlich! Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte.
Rechnen Sie damit, dass sich die Krise über das ganze Jahr fortsetzt? Mit welchen Auswirkungen auf Dachser, die Branche und ihre Kunden?
Wir gehen davon aus, dass das Sendungsvolumen auf dem aktuellen Stand stagniert, möglicherweise mit punktuellen Peaks. Die Schweizer
Wirtschaft wird sich hoffentlich ab Herbst langsam erholen. Ein spürbares Wirtschaftswachstum werden wir aber erst ab Februar 2021 sehen. Die endgültigen Auswirkungen auf unser internationales Geschäft sind schwer prognostizierbar. Wir können die Lage nur Tag für Tag neu bewerten und uns agil und flexibel darauf einstellen.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in den nächsten drei Monaten?
In der Disziplin und Motivation. Wir dürfen bezüglich der Schutz- und Hygienemassnahmen nicht nachlässig werden, auch wenn die Ladenschliessungen und andere Beschränkungen aufgehoben werden. Und wir sollten versuchen, die Motivation bei den Mitarbeitenden trotz aller Widrigkeiten hochzuhalten.
Wir müssen auch auf unsere selbstständigen Transportunternehmer schauen, die täglich Sendungen abholen, respektive an uns ausliefern. In vielen persönlichen Gesprächen begleiten wir sie durch diese Krise und bieten Unterstützung an. Vor allem aber versuchen wir, ihre Liquidität sicherzustellen und zahlen Rechnungen innert 10 Tagen. In der operativen Abwicklung sehe ich keine neuen Herausforderung auf uns zukommen.
Welche zusätzlichen Massnahmen würden Sie sich vom Bundesrat oder den Kantonen zur Bekämpfung der Pandemie-Auswirkungen erhoffen?
Ich wünsche mir keine zusätzlichen Massnahmen. Vielmehr hoffe ich auf eine schnelle Lockerung aller Beschränkungen, damit die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen kann.