Lebensmittel-Industrie: An der Erfolgsgeschichte haben verschiedene Partner mitgewirkt – wer nimmt heute organisatorisch welche Rolle ein?
Christoph Gämperli: Die St. Galler Öl AG ist aus der St. Gallischen Saatzucht entstanden. Heute produzieren rund 100 Bauernfamilien für die St. Gallische Saatzucht. Die St. Galler Öl AG veredelt deren Ölsamen zu feinen kalt gepressten Ölen. Die St. Galler Öl AG ist auch verantwortlich für die Vermarktung der Öle. Die St. Galler Öl AG ist zu 100 Prozent im Besitz der St. Gallischen Saatzucht. Diese bäuerliche Organisation ist ständig auf der Suche nach neuen ackerbaulichen Produkten und innovativen Lebensmitteln. Die Mitglieder produzieren heute Spezialprodukte wie Braugerste, Grassamen, blaufleischige Kartoffeln (Blaue St. Galler), SwissChia, Saatmais und verschiedenste Ölsamen.
… Und personell?
Christoph Gämperli: Geschäftsführer der St. Galler Öl AG ist Marcel Buchard. Ich bin Verwaltungsratspräsident der St. Galler Öl AG und Geschäftsführer der St. Gallischen Saatzucht.
Am Anfang stand die Neulancierung des Schweizer Ölsaaten-Anbaus – was gab den Anstoss?
Christoph Gämperli: Wir liessen uns vom Olivenöl inspirieren. Wer hier gute Qualität produziert, kann entsprechende Preise auf dem Markt lösen. Nur das Problem: Oliven können bei uns nicht kultiviert werden. Wir starteten mit Raps-, Lein- und Mohnöl und waren schon überrascht, aus wie vielen einheimischen Pflanzen Öl hergestellt werden kann. Die Qualität bei kalt gepressten Ölen kann nur mit erstklassigen Rohstoffen erreicht werden. Und hier ist niemand näher an der Rohstoffen dran wie wir – nämlich bei unseren Mitgliedern bzw. Produzenten. Bei vielen Ölsamen sind wir sogar bei der Ernte dabei und entscheiden dann vor Ort, ob die Rohstoffe für die Herstellung unserer kalt gepressten Öle verwendet werden können. Kleine, überschaubare Landwirtschaftsstrukturen können also auch einen Vorteil haben.
Welchen Stellenwert nimmt der Schweizer Ölsaaten- Anbau heute generell ein – aus Ihrer Sicht?
Christoph Gämperli: Die Schweiz hat einen sehr tiefen Eigenversorgungsgrad mit Pflanzenöl. Raps steht hier als Ausnahme. Der Ölbranche ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, einen sehr hohen inländischen Rapsölanteil zu erzielen. Das ist eine Erfolgsgeschichte! Bei den Sonnenblumen ist der Selbstversorgungsgrad weiterhin sehr tief. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatten manche das Gefühl, man könne den Sonnenblumenanbau in der Schweiz hochfahren. Standortbedingt, aber auch aus fruchtfolgetechnischen und wirtschaftlichen Überlegungen ist es unrealistisch, bei dieser Ölpflanze den Anteil merklich zu erhöhen. Dasselbe gilt auch für alle anderen Ölpflanzen wie etwa Soja und Lein-Anbau.
Wo positioniert sich die St. Galler Öl AG in diesem Umfeld?
Marcel Buchard: Wir nehmen in diesem Umfeld eine Sonderstellung ein. Wir können nicht mit den herkömmlichen Ölraffinerien verglichen werden. In der Schweiz wird Öl vorwiegend als Hilfsmittel für die Lebensmittelverarbeitung oder als günstiger Zusatz in Lebensmitteln wahrgenommen. Die Stellung des Öls im mediterranen Raum ist eine andere. Dort wird Öl als Genussmittel geschätzt. Auf dieser Schiene fahren wir mit unseren kalt gepressten Ölen.
Mussten Sie die Verarbeitungsstrukturen für Ihre Öle neu aufbauen?
Christoph Gämperli: Wir haben mit einer kleinen Ölpresse begonnen und sind mit der steigenden Nachfrage gewachsen. Das Wachstum war in der Vergangenheit stetig, aber nie exponentiell – ausser inden Zeiten von Corona. Da verzeichneten wir eine aussergewöhnliche Nachfrage unseres Öls und mussten «Vollgas» geben.
Wo stehen Sie heute – welches Ausbaupotenzial sehen Sie?
Marcel Buchard: In der Ostschweiz werden unsere Öle sehr geschätzt, und dort sind wir eine feste Grösse. Wir haben ein dichtes Verkaufsnetz, und die meisten Detaillisten führen hier unsere Artikel. Immer mehr Kunden entdecken unsere Öle und bleiben uns treu. Selbstverständich ist es nicht so einfach mit dem Brand «St. Galler Öl» bei den Zürchern, Genfern oder Baslern zu landen. Aber es ist wie bei der Bratwurst: Wer eine gute wünscht, der wählt die St. Galler.
Beliefern Sie Verarbeitungsbetriebe und die Gastronomie? Was ist dabei besonders zu beachten?
Marcel Buchard: Wir dürfen beide beliefern. Öl geht zur Wiederverarbeitung in Grossbetriebe. Hier werden zum Beispiel Mayonnaise, Labelprodukte oder Kapseln für den Gesundheitsbereich hergestellt. Die Spitzengastronomie zelebriert unsere Öle, wie es von den Olivenölen bekannt ist. Pflegeeinrichtungen, Schul- und Spitalküchen vertreten ebenfalls unsere Philosophie.
Welche Rolle nehmen Bioprodukte und weitere Labels in Ihrem Sortiment ein?
Marcel Buchard: Vor allem die regionale Labelprogramme sind sehr wichtig. Produktionsrichtungen wie IP-Suisse und Bio-Knospe sind auch ein Thema.
Der Bioanteil ist klein. Wir machen ein regionals Bio-Knospen-Leinöl und bieten den SwissChia als Bio-Knospe-Speisesamen an. Mit diesen zwei Produkten haben wir einen sehr guten Zugang zu den umweltbewussten Kunden, die eine hohe Produktequalität wünschen. Beim SwissChia sind wir übrigens die Einzigen, die in der Schweiz produzierten Chia in Bioqualität anbieten können.
Ihre Produkte sind offensichtlich ausschliesslich pflanzlicher Herkunft und damit «veganfähig» – ein Thema für die Vermarktung?
Marcel Buchard: Unsere Produkte sind kalt gepresst und extra nativ. Es werden also keinerlei Hilfsstoffe bei der Herstellung eingesetzt.
Bis jetzt loben wir «vegan» nicht aus. Wir haben diesbezüglich auch kaum je Kundenfragen.
«Vergessene» Ackerkulturen gewinnen mit Blick auf Schweizer Proteinquellen – sind Sie in diesen Bereichen auch engagiert?
Christoph Gämperli: Die Presskuchen und die Presschips aus der Ölherstellung sind per se proteinreich und können potenziell zu Fleischersatzprodukten extrudiert werden. Bei der Ölherstellung fallen etwa 60 Prozent davon an – je nach Ölsamenart.
Aber auch hier gilt wie eingangs erwähnt: Die Schweiz kann auf ihrem Ackerland nicht uneingeschränkt Proteinträger produzieren. Fruchtfolgekrankheiten setzen hier einen Riegel. Unser Land besteht hauptsächlich aus Grünland. Die grösste Menge an Eiweiss wird durch unsere Wiesenpflanzen produziert. Die Raufutterverzehrer wie das Rindvieh machen es dann erst für die menschliche Ernährung verfügbar.
Gibt es aus Ihrer Sicht weitere «vergessene» Ackerkulturen? Wenn ja, mit welchem Potenzial?
Christoph Gämperli: Wir haben eine Chiasorte gefunden, die in der Schweiz kultiviert werden kann. Das Projekt ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass wir den Schweizer Markt ab sofort mit einheimischen Chiasamen versorgen können. Der Markt ist bestimmt nicht allzu gross, doch auch bei uns gilt: Taten statt Worte!
Vielen Dank für das Gespräch!