Lebensmittel-Industrie: Wie hat es Felchlin geschafft, über die lange Firmengeschichte unabhängig zu bleiben?
Christian Aschwanden: Einerseits durch eine Besitzerstruktur, die auf Unabhängigkeit ausgelegt ist und natürlich durch den langfristig ausgerichteten wirtschaftlichen Erfolg.
Unvermeidliche Frage: Wie wirkt sich die Pandemie- Krise auf Ihre Branche einerseits und konkret auf die Felchlin AG aus?
Die Auswirkungen unterscheiden sich vor allem über die Absatzkanäle. So haben zum Beispiel gewerbliche Kunden in den Innenstädten mehr gelitten als jene auf dem Land. Den Verkaufsstellen an Bahnhöfen, Flughäfen oder anderen Verkehrswegen fehlen die Pendler und Touristen. Der Fachhandel und die Grossverteiler verkaufen gut, alle Food-Service Kanäle sehr schlecht. Unser Exportgeschäft hat sehr stark gelitten, da dieses vor allem im Food Service für Hotels, Cruise Lines, Airlines und vergleichbaren Kanälen liegt.
Welche Veränderungen und Folgen werden absehbar mittel- bis langfristig nachwirken, auch bei Ihren Partnern in den Anbaugebieten?
Die Pandemie beschleunigt gewisse Veränderungen wie die Digitalisierung, den Online Einkauf und damit beispielsweise auch die Cyberrisiken. Gleichzeitig wächst das Bedürfnis nach lokal hergestellten Produkten.
Die Nachfrage nach Cacao wird in Zukunft weiterwachsen. Anbau und Lieferkette werden dabei immer stärker durch zwei Faktoren beeinflusst: Einerseits die Veränderung des Klimas und andererseits das Bedürfnis nach nachhaltig produzierten Agrarrohstoffen.
Das Unternehmen Felchlin ist seit Jahrzehnten als wichtiger Zulieferbetrieb für die Bäckerei-Konditorei- Confiserie-Branche bekannt – auch in Zukunft?
Das ist und bleibt unser wichtigstes Kundensegment. Allerdings ist auch diese Branche einem steten Wandel unterworfen, und gerade hier sehen wir unsere Aufgabe indem wir unsere Kunden darin unterstützen, weiterhin attraktiv und konkurrenzfähig zu sein.
Welche weiteren Produkt- und Vermarktungskanäle sind von Bedeutung?
Alle Verarbeiter von Confiserie- und Konditorei-Komponenten, die bereit sind, den Preis für aussergewöhnliche Qualität zu bezahlen.
Sie verfügen über enge Kontakte mit Ihren Partnern in den Anbaugebieten – welche Ziele und Strategien verfolgen Sie dabei?
Wir setzen auf langfristige, faire Partnerschaften. Dies ist die Grundlage für die nachhaltige Produktion von geschmacklich interessanten Aroma-Cacaos und dem wachsenden Konsumentenbedürfnis nach mehr Transparenz zur Herkunft der Rohstoffe.
Newcomer-Unternehmen positionieren sich oft mit Produkt-Storys und engen Beziehungen zu ihren Anbau-Partnern; für Felchlin eine Bestätigung, Anregung – oder Konkurrenz?
Bestätigung und Anregung ja, falls Konkurrenz, dann schadet das nie. Auch wenn es zurzeit noch eher wenige sind, bestätigt diese Bewegung doch das Bedürfnis der Konsumenten nach Authentizität und Qualität.
Unterschätzt wird oft die Pflege einer engen Beziehung zu den Anbau-Partnern und die damit verbundenen Herausforderungen wie Sprache, Kultur, Finanzierung und Logistik.
Lassen sich Qualitätsaspekte und die ökologischen und sozialen Nachhaltigkeits-Kriterien gleichzeitig erreichen?
Ich sehe überhaupt keine Widersprüche in der Forderung nach Qualität und Nachhaltigkeit. Wir müssen nur bereit sein, den Preis dafür auch zu bezahlen, und alle in der Wertschöpfungskette müssen ihren gerechten Anteil davon erhalten.
Welche Anbaukriterien stehen im Vordergrund, welche Relevanz hat die biozertifizierte Produktion?
Neben der Sortenqualität soll der Anbau möglichst natürlich sein und die Arbeitsbedingungen sicher und fair. Dazu gibt es internationale Standards, an denen auch wir uns orientieren. Eine Bio-Zertifizierung ist hilfreich und die Nachfrage dafür wächst weiter.
Wie stellen Sie die Einhaltung und Rückverfolgbarkeit Ihrer Anforderungen vor Ort sicher?
Zu den wichtigsten Lieferanten pflegen wir eine Partnerschaft, die bereits 15–20 Jahre alt ist. Durch die damit erhaltenen Kenntnisse und die Nähe können wir die Verhältnisse vor Ort recht gut beurteilen. Je nach Bedürfnis nutzen wir unabhängige Zertifizierung oder testen auch neue technische Hilfsmittel zur Rückverfolgbarkeit der Wertschöpfungskette.
Felchlin setzt nicht auf offizielle Fairtrade-Labels und Programme. Was sind Ihre Gründe dafür?
Das kann man so nicht sagen. Labels sind jedoch immer eine Kostenfrage. Dort wo das Vertrauen in unsere Kompetenz und Transparenz ausreichend ist, suchen wir nicht zusätzlich bestätigende Labels.
Die Verwendung von Cacaopulpe & Cacaosaft als Ersatz/Reduktion von Zucker wird derzeit als Neuheit präsentiert – auch im Felchlin-Sortiment?
Das Start-up-Unternehmen KOA ist vor 3 Jahren auf uns zugekommen mit der Frage, ob wir ihren Cacao-Saft in Confiserie- und Konditorei-Produktanwendungen (Rezepte) aufzunehmen und in diesem Segment vertreiben möchten. Wir haben das gemacht, weil uns die Idee der zusätzlichen Einnahmen für die Cacaobauern einerseits, aber auch die bei uns unbekannten Aromen des Safts überzeugt haben. Seit Mitte des letzten Jahres haben wir eine Couverture im Sortiment, die nur aus Cacaofrucht-Bestandteilen besteht, das heisst Cacaobohnen und Cacaosaft. Das ist eine echte Innovation, die Herstellung nicht einfach aber äusserst interessant bezüglich Geschmack (Aroma, wenig Süsse) und Nachhaltigkeit.
Aufgrund des Preises handelt es sich auch bei diesem Produkt um eine Spezialität, die kaum massemarkttauglich ist. Grössere Auswirkungen auf die Schokolade-Technologie und die Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette sind daher vorderhand nicht zu erwarten.
Vor allem Anbauländer in Lateinamerika verarbeiten vermehrt Schokolade vor Ort. Hat dieser kombinierte Ansatz die Chance zum Sprung aus der Nische?
Hersteller in den Anbauländern haben aufgrund der Nähe zu den Cacao-Pro-duzenten einen Transportkostenvorteil für den Rohstoff und die Versorgung der lokalen Märkte. Im internationalen Geschäft sehe ich weniger Vorteile.
Welche Auswirkungen hätte dies für Felchlin – ergeben sich daraus auch neue Kooperationsformen?
Felchlin ist 113 Jahre alt und hat sich immer neben wachsender internationaler Konkurrenz behaupten müssen. Als mittelständisches Unternehmen setzen wir generell auf ein Netzwerk mit interessanten Partnerschaften. Zurzeit haben wir aber im Bereich der Schokoadeherstellung in den Cacao Ursprungsländern keine Kooperation.
Die Schweiz gilt als Schokoladeland par excellence – wie gut sind die Kenntnisse in der Schweiz zu den Hintergründen der Cacao-Wertschöpfungskette – sehen Sie Handlungsbedarf für die Lebensmittelbranche und/oder die KonsumentInnen?
Ich bin der Ansicht, die Schweiz ist diesbezüglich sehr nah dran und die Unternehmen entsprechend aktiv mit verschiedenen Projekten und Massnahmen. Das Bewusstsein der Konsumenten in der Schweiz ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch.
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