Die Alpwirtschaft hat einen heissen und trockenen Sommer hinter sich – was waren die grössten Herausforderungen?
Die Bedingungen und Herausforderungen sind regional sehr unterschiedlich. Die Situation war am problematischsten im Jurabogen, Teilen der Voralpen (Fribourg/Berner Oberland), auf südexponierten Alpen im Karstgebiet. Bezüglich Wasserinfrastruktur wurde in den letzten Jahren vielerorts investiert und es konnten Verbesserungen erreicht werden. In verschiedenen Regionen besteht aber nach wie vor noch grosser Nachholbedarf, um die Alpen mit genügend Wasser versorgen zu können. Neben Tränkwasser für die Tiere und Trinkwasser für Milchalpen sowie nicht-landwirtschaftliche Nutzungen wie touristische Einrichtungen und Alpbeizli.
Die schwierigste Situation bestand dort, wo wie im Jurabogen neben Tränke-/Trinkwasser auch das Futter fehlte. Dort war auch auf den Heimbetrieben das Graswachstum schlecht, womit selbst vorzeitige Abalpung keine Lösung bot. Wir rechnen mit einer Zunahme an Trockenperioden im Sommerhalbjahr. Die Alpwirtschaft muss sich dieser Entwicklung anpassen.
In der politischen Debatte wird derzeit die Stärkung der Schweizer Alpwirtschaft betont – wo liegt der grösste Handlungsbedarf und welche Optimierungen sind zeitnah realistisch?
Mit der Agrarpolitik 2017 konnten wichtige Elemente zugunsten der Alpwirtschaft eingeführt werden. Damit wurde der Wille zu einer flächendeckenden Bewirtschaftung der Sömmerungsgebiete recht gut verankert. Doch mit der enormen Ausbreitung der Wolfspopulation im Alpenraum stehen nie dagewesene Herausforderungen im Raume, welche die agrarpolitischen Fragen der vergangenen Reformetappen in den Schatten stellen. Diese Herausforderungen können nur bewältigt werden, wenn eine griffige gesetzliche Grundlage erarbeitet werden kann, welche rasche, gezielte und regulierende Eingriffe in die Population der Grossraubtiere erlauben (rasche Revision des Jagdgesetztes bis zum Sommer 2023 wird angestrebt).
Im Weiteren wird der Umgang mit dem Klimawandel zunehmend zu einer Herausforderung. Die Weiterführung der übrigen Instrumente im agrarpolitischen Umfeld ist jedoch ebenfalls zwingend. Dazu gehören nebst dem jährlich wiederkehrenden Budget für Direktzahlungen die Strukturhilfen und die praxisorientierte Forschungsarbeit. Letzte beide Themen müssen finanziell und personell noch gestärkt werden, damit die Alpwirtschaft nachhaltig und flächendeckend bestehen kann.
Zwischen der Tal-, Berg- und Alpwirtschaft besteht eine traditionelle Rollenteilung und Kooperation – welche davon bleiben absehbar auch für die Zukunft wichtig?
Die Alpwirtschaft wird auch in Zukunft auf die Sömmerung von raufutterverzehrenden Nutztieren angewiesen sein. Daher wird die Rollenteilung zwischen den Heimbetrieben und den Alpen im Grundsatz bleiben. Der Wert der sommerbasierten Futtergrundlage in den Bergen muss weiterhin hochgehalten werden.
Welchen Beitrag leisten diese Kooperationen für die Versorgungssicherheit und die nachhaltige Entwicklung?
Die Alpung von Nutztieren hat den Vorteil, dass die Heimbetriebe ihre Futtergrundlagen erhöhen können. Dies könnte bei Sommertrockenheit in Zukunft noch wichtiger werden. Die Tierbestände auf den Heimbetrieben können damit gehalten werden, obwohl die Futtererträge in gewissen Regionen zurückgehen werden. Das stärkt die Nutztierhaltung in der Schweiz.
Zudem könnten bei Talbetrieben die Futtererträge, welche in dieser Kooperation zu den Alpen verlagert werden, durch pflanzliche Ackerprodukte ersetzt werden, was die Versorgungssicherheit insgesamt verbessert. Es kann klar festgehalten werden, dass die Alpwirtschaft einen grossen Beitrag an die Biodiversität der Alpweiden leistet und die natürliche Futtergrundlage auf nachhaltige und standortangepasste Weise nutzt. Neben Kühen werden die Alpen auch mit Schafen und Ziegen bestossen.
Ist dies eher eine Ergänzung oder für einige Alpen auch eine Alternative?
Kleinwiederkäuer werden traditionell auf Alpen mit extensiveren Bedingungen gehalten, die für die Rindviehhaltung nicht so gut geeignet sind. Die Anzahl gesömmerter Kleinwiederkäuer nimmt hingegen leicht ab, möglicherweise bedingt durch die Wolfsproblematik.
Die Rinderzahlen auf den Alpen sind relativ stabil, sogar leicht steigend. Auch die Alpkäseproduktion ist relativ stabil. In Zukunft ist eine leichte Verschiebung von Milchkühen zu Mutterkühen zu erwarten.
Käsereien auf grösseren Alpbetrieben gleichen heute teilweise den Produktionsbedingungen der Talverarbeitung – stimmt dieser Eindruck?
Sicherlich kann man sagen, dass auf den Alpen, wie in jeder wirtschaftlichen Realität, wo Investitionen getätigt werden, das Ziel darin besteht, die Technologie zu verbessern bzw. die Technik zu aktualisieren, um eine einwandfreie Qualität zu gewährleisten.
Sie können also durchaus Käsereien auf den Alpen sehen, die modern und gut ausgestattet sind. Natürlich haben nicht alle Sennereien das kritische Volumen, um bedingungslos investieren zu können, daher ist es oft auch relativ zur produzierten Menge. Es ist wichtig zu betonen, dass die Qualität und die Typizität des Produkts auf die alpine Flora zurückzuführen sind und daher nicht von der Technik beeinflusst werden.
Welche Herausforderungen stellen sich nicht zuletzt für kleinere Alpkäsereien – und wie werden sie gemeistert?
Die Herausforderungen sind vielfältig, man denke nur an die Verfügbarkeit von Personal, an Grossraubtiere oder an den Klimawandel.
Im Milchbereich ist die wichtigste Frage sicherlich die des Personals, sowohl was die Arbeitskräfte als auch was die Ausbildung betrifft. Auch kleine Käsereien schaffen es, qualitativ sehr guten Alpkäse herzustellen. Das ist nur möglich, weil es immer noch viel sehr motivierte Älpler/Käser hat.
Welche Rollenteilungen und Kooperationen bestehen zwischen der Alp- und Talkäserei sowie zwischen Käsehandel und Logistik?
Der auf den Alpen hergestellte Käse gelangt nach der Reifephase, die auf den Alpen oder in bestimmten Zentren stattfinden kann, über zwei mögliche Wege zum Endverbraucher. Der erste ist der Direktverkauf, der zweite der Grossvertrieb mit Gross- und Einzelhändlern.
Im erstgenannten Kanal übernimmt der Erzeuger selbst die Vermarktung seines Käses über Märkte, den Almverkauf oder über kleine Einzelhändler oder Verbraucher, wie Restaurants, Kantinen. Beim Alpkäse spielt der Direktverkauf eine wichtige Rolle; im Tessin z.B. macht der Direktverkauf bis zu 70 Prozent des gesamten Produktionsvolumens im Kanton aus.
Im zweiten Kanal hingegen verkauft der Erzeuger seine Produktion an diejenigen, die dann die wichtige Arbeit der Portionierung, Etikettierung, Verpackung und des Vertriebs übernehmen. Eine wichtige und notwendige Arbeit für grosse Einzelhändler. Es ist daher wichtig, dass alle Akteure in der Kette ihre Rolle in der richtigen Zeit und zu den richtigen Kosten spielen, damit der Verbraucher mit diesem Spitzenprodukt zufrieden sein kann.
Welche QM-Standards/Zertifizierungen und Labels stehen in der Alpwirtschaft im Vordergrund?
Auf der Ebene der Käseproduktion ist es schwierig, die Käserei nach hohen Standards wie dem FSSC 22000 oder den ISO-Normen zu zertifizieren. Selbstverständlich ist für die Herstellung von Alpkäse eine Bewilligung des kantonalen Laboratoriums erforderlich. Für die gute Herstellpraxis kommen die vom SAV herausgegebenen Leitlinien für die Käseherstellung in Alpbetrieben zur Anwendung (werden zurzeit überarbeitet). Was die Kennzeichnung anbelangt, so ist das Label «Schweizer Alpkäse» zusammen mit den regionalen AOCs sicherlich das stärkste und bekannteste.
Verfügt die Alpwirtschaft über genügend Fachkräfte, bzw. mit welchen Massnahmen wird dies sichergestellt?
Der aktuelle Fachkräftemangel widerspiegelt sich auch in der Alpwirtschaft. Es fehlt an qualifiziertem Personal insbesondere auf milchverarbeitenden Alpen und Schafalpen. Mit der Gestaltung von attraktiven Arbeitsplätzen und guten Anstellungsbedingungen, dem Unterrichten der Alpwirtschaft in der landwirtschaftlichen Ausbildung und dem Anbieten von spezifischen Kursen für Alppersonal wird versucht dem entgegenzuwirken.
Gibt es spezifische Aus- und Weiterbildungen?
Verschiedene Landwirtschaftliche Schulen bieten einen Alp-/Hirten/-Käsereilehrgang an, mit regionalen Verankerungen wie im Hondrich BE, Plantahof GR oder dem Landwirtschaftlichen Zentrum Salez SG. Es ist unabdingbar, eine gute Ausbildung spezifisch für Alppersonal/Alpkäser aufrechtzuerhalten. Ein Alpkäser muss nicht dasselbe können wie ein Milchtechnologe, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.