Was sind heute die grössten Herausforderungen der Schokoladen-Branche allgemein?
Daniel Bloch: Mit den Konsumentinnen und Konsumenten im Kontakt zu bleiben. Wie können wir ihre Aufmerksamkeit erreichen in einer Welt voller Informationen und Reize?
… und konkret für Ihr Unternehmen?
Unsere Konsumentinnen und Konsumenten verlangen mehr und mehr spezifische Produkte. Somit bringt dies die Gefahr mit sich, dass wir uns zu fest verzetteln. Es reicht heute nicht mehr, das Richtige zu tun, also nachhaltig zu sein. Man muss es auch immer mehr beweisen. Dies beginnt bei der Beschaffung der Rohstoffe, wo wir auf die Rückverfolgbarkeit setzen, bis zur Produktion und Verpackung in Courtelary.
Was sind die wichtigsten Stärken von Camille Bloch im Schokoladeland Schweiz mit vielen renommierten Anbietern?
Wir suchen die Differenz, das Alleinstellungsmerkmal. Das heisst zuerst einmal, dass wir einzigartige Spezialitäten herstellen. Wir sind aber auch ein unabhängiges Familienunternehmen, und wollen unkompliziert und bescheiden bleiben. Dies erreichen wir, in dem wir den gesamten Produktionsprozess «von der Bohne bis zum Riegel» hier in Courtelary konzentrieren. Wir sind ein verlässlicher Partner, für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für unsere Lieferanten und Partner, für unsere Besucherinnen und Besucher, für unsere Konsumenten und Konsumentinnen. 2020 haben wir unsere neue Linie «SO NUTS» eingeführt. Wir sind heute stolz darauf, dass wir unsere wichtigsten Rohstoffe, Haselnüsse und Mandeln, seit letzten Juni nun auch selber in Courtelary mit feinem Ragusaoder Torino-Überzug dragieren können. Ganz neu auch die «SO NUTS-Coffee», eine bei uns sorgfältig geröstete Mandel, die mit einer feinen Schicht aus Guatemala-Kaffeebohnenpulver den perfekten ausgewogenen Koffein-Snack für unsere so mobile Welt ausmacht.
Ihr Unternehmen blickt als Familienbetrieb auf eine 80-jährige Geschichte zurück; was waren die wichtigsten Meilensteine auf diesem Weg?
Mein Grossvater gründete die Firma 1929 in Bern und konnte 1935 eine stillgelegte Papierfabrik in Courtelary erwerben. Hier baute er seine Produktion aus und brachte 1942 das Ragusa auf den Markt. Weitere Meilensteine waren 1948 Torino und auch unsere mit likörgefüllten Schokoladen ohne Zuckerkruste, die wir seit den 50er-Jahren herstellen. 1960 konnten wir die Firma ausbauen und haben uns zu diesem Zeitpunkt wieder ganz klar zum Standort Courtelary im Berner Jura bekannt. Meilensteine waren natürlich auch die Generationenwechsel. So habe ich im Jahr 2005 die Leitung der Familienunternehmung von meinem Vater übernommen. 2017 eröffneten wir unser Besucherzentrum. Bereits im ersten Betriebsjahr konnten wir über 100 000 Besucherinnen und Besucher begrüssen. 2018 kauften wir Land in Georgien, um darauf unsere eigenen Haselnüsse anzubauen. Mit Ragusa feiern wir jetzt das 80-Jahr-Jubiläum. Wir sind stolz darauf, dass wir über 80 Jahre einer Idee treu geblieben sind, die wir aber immer wieder an den Zeitgeist anpassen konnten. So zum Beispiel mit Ragusa Noir 2008 oder Ragusa Blond 2014. 2015 haben wir mit Ragusa For Friends ein kleineres Format zum Schenken und Teilen entwickelt. Mit «SO NUTS» lancierten wir im Jahr 2020 eine neue Marke, just in einer Zeit, in der sich dies eigentlich fast niemand mehr getraut.»
Die berühmte «Ragusa-Geschichte» begann aus einer Notlage im Zweiten Weltkrieg. Welche Bedeutung nimmt das daraus entstandene Sortiment heute ein?
Ragusa ist unser Flaggschiff. Es gehört wie Torino zu den bekanntesten und vertrauenswürdigsten Marken der Schweiz. Wir machen heute mit Ragusa mehr als 50 Prozent unseres Umsatzes.
Aktuell sieht sich Europa erneut mit Kriegen und Krisen konfrontiert. Welche Auswirkungen und Risiken bringt dies für Camille Bloch mit sich?
Die Tragödie in der Ukraine betrifft uns als Menschen sehr. Und wir sind uns wieder einmal bewusst, wie privilegiert wir hier in der Schweiz sind. Die heutige Situation zeigt uns aber, wie abhängig wir von den Geschehnissen um uns herum sind oder auch von Ländern. Dies bestärkt uns in unserer Strategie, möglichst unabhängig zu bleiben. Geschäftlich können wir heute noch nicht sagen, wie sich die Krise auswirken wird.
Ihr Unternehmen betreibt eigene Anbauprojekte in Georgien. Wie kam es dazu und welche Ziele stehen dabei im Vordergrund?
Unser Einkaufsleiter, René Meier, hat mich einmal auf einem Flug nach Ghana mit der Idee überrascht, dass wir unsere eigenen Haselnüsse anbauen könnten. Denn die Preise für Haselnüsse schwankten sehr, wie auch die Qualität. Wir waren diesen Schwankungen immer mehr ausgesetzt. Heute ist die Tendenz eher die, immer weniger selber zu machen, seine Geschäftsbereiche auf das Wichtigste zu fokussieren. Somit war der Entscheid für den eigenen Haselnussanbau in Georgien schon etwas verrückt, aber eben für uns der richtige Weg. Wir möchten unsere Verantwortung für unseren wichtigsten Rohstoff übernehmen. Als wir dann 2018 rund 650 Hektaren ebenes Landwirtschaftsland in Georgien erwerben konnten, haben wir sehr rasch zugesagt. Im letzten Jahr haben wir die ersten 30 000 Wurzelstöcke angepflanzt. Wir wollten eine innovative Anbaumethode aufbauen, die nicht nur nachhaltiger ist, sondern auch für die georgische Landwirtschaft insgesamt interessant sein könnte. Somit werden wir anstelle der traditionellen Anbaumethode mit Haselnusssträuchern auf veredelte Haselnussbäume setzen. Wir haben das Glück, dass wir mit einem Schweizer Landwirt, der diese Methode auf seinem Hof in Niederwil bereits getestet hat, nun unsere Haselnussplantage in Georgien aufbauen können.
Wie wirkt sich der aktuelle Krieg in der Ukraine aus, zumal auch Georgien selber stark unter russischem Einfluss steht?
In der Tat ist Georgien wirtschaftlich und politisch sehr von Russland abhängig. Wir hoffen aber, dass dieses junge Land sich auch weiterhin positiv entwickelt und seine Unabhängigkeit bewahren kann.
Zurück in die friedliche Schweiz: Seit einigen Jahren bietet Camille Bloch Schokolade-Erlebnis. Welche Zukunftspläne bestehen für dieses Angebot?
In unserem Besucherzentrum können wir den direkten Kontakt zu unserer Kundschaft hautnah erleben. Hier können wir ihnen unsere Leidenschaft zeigen, wie wir unsere Schokolade herstellen, wie wir unsere soziale Verantwortung wahrnehmen. Wir bringen unseren Besucherinnen und Besuchern quasi das «Making of» unserer Spezialitätennäher. Meine Vision war es, den Fans unserer Marken ein Erlebnis zu bieten, dass über den Konsum unserer Produkte hinausgeht. So können wir auch die Verbindung unserer Konsumenteninnen und Konsumenten zu unseren Marken stärken. Es soll auch Spass machen, unsere Familien- und Firmengeschichte zu erleben. Deshalb gibt es ab Ende April 2022 ein ganz spezielles Ciné-Game-Erlebnis, das man mit allen Sinnen geniessen kann!
Welche Zukunftspläne stehen für die Unternehmensentwicklung aktuell an?
Ich möchte mit der Aussage von Saint-Exupery abschliessen, dass wir die Zukunft nicht planen können, aber wir müssen sie möglich machen. Das heisst für uns, nachhaltige Qualitätssteigerung, den Austausch mit unseren Stakeholdern ausweiten und vertiefen, und langsam den Generationenwechsel vorbereiten.