Seit Herbst steigen die Energie- und Düngerpreise. In der Ukraine – der Kornkammer der Welt – herrscht Krieg und in Indien sorgt eine Hitzewelle für Ernteausfälle. Alles zusammen sorgt für Unsicherheiten und Stress auf den Agrarmärkten und zu stark steigenden Lebensmittelpreisen. In der politischen Arena rückt die Kombination der Ereignisse die Frage in den Vordergrund, wie die Versorgung mit gesunden und nachhaltig hergestellten Lebensmitteln gesichert werden soll und kann.
Diese Diskussion fand zuletzt 2017 im Rahmen der Abstimmungen zur Ernährungssicherheitsinitiative statt. Das Resultat dieser Diskussion ist Artikel 104a der Bundesverfassung, wonach der Bund die Voraussetzungen für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln schafft. Dazu gehören der Schutz des Kulturlandes, eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion, eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft, grenzüberschreitende und nachhaltige Handelsbeziehungen und der ressourcenschonende Umgang mit Lebensmitteln.
Diesem erweiterten Auftrag an die Land- und Ernährungswirtschaft stimmten rund 78 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu. Das Ergebnis schuf einen breit abgestützten politischen Rahmen für eine marktorientierte, gesunde, produktive und nachhaltige Landwirtschaft. Dieser Rahmen ist nach wie vor gültig. Nicht nur, weil die Bevölkerung hinter dem Beschluss steht, sondern auch, weil die Ergänzung der Verfassung die Komplexität der heutigen Land- und Ernährungswirtschaft abbildet.
Und zu dieser Komplexität gehören Krisen und Unterbrüche in der Supply Chain. Gründe dafür gab und gibt es viele – neben dem Klimawandel allen voran Konflikte. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden 150 bis 300 bewaffnete Konflikte gezählt; mit Folgen für die Menschen, wie wir aus Syrien, aus dem Horn von Afrika und aus Afghanistan wissen. Was eine Pandemie mit den globalen Lieferketten anstellen kann, haben wir in den letzten gut zwei Jahren erlebt. Die Auswirkungen davon könnten gemäss einer Studie der OECD noch für eine ganze Dekade spürbar sein.
Die grosse Frage ist nicht, ob wir mit Krisen fertig werden. Die Frage ist vielmehr, wie wir mit Krisen fertig werden. Aus Krisen können ganze Wirtschaftszweige gestärkt hervorgehen, das hat die Geschichte immer wieder gezeigt. Voraussetzung ist, dass kurzfristig auftretende Probleme im Sinne der langfristigen Ziele bewältigt werden. Das heisst: Bestrebungen für mehr Klimaund Ressourcenschutz, für weniger Food Waste, für mehr Biodiversität und gesündere und nachhaltigere Konsummuster in der Land- und Ernährungswirtschaft sind in jedem Fall richtig, sogar notwendig. Dasselbe gilt für die Reduktion der Pestizid-Risiken und der Nährstoffüberschüsse. Insgesamt gewinnt Resilienz – die Fähigkeit, mit Schocks umzugehen – an Bedeutung. In allen Fällen spielen Lebensmittelindustrie und Handel sowie die Konsumentinnen und Konsumenten eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Landwirtschaft.
Dass sich die politischen Akteure gerne um Teilaspekte und Prozentwerte zoffen, täuscht ausserdem darüber hinweg, dass sich alle Akteure in den grossen Linien einig sind: Sie wünschen sich eine produktive, gesunde und nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft. Darauf kann gebaut werden.
Weitere Informationen unter www.agrarallianz.ch.