Lebensmittel-Industrie: Welche Rolle nimmt Ihr Unternehmen in der Schweizer Fleischbranche ein?
Markus Bigler: Bigler ist Bestandteil der Wertschöpfungskette und wichtiger Partner der Landwirtschaft sowie der Metzgereien und des Lebensmitteldetailhandels. Wir beschaffen Tiere auf dem Markt direkt bei den Produzenten oder via Partnerfirmen des Tierhandels. Wir schlachten die Tiere und verarbeiten das Fleisch zu einer grossen Palette an Frischfleischstücken oder Fleischspezialitäten. Unsere Partner aus der Landwirtschaft und dem Handel schätzen uns als verlässlichen und fairen Abnehmer. Uns sind langfristige Beziehungen wichtig, die auf gegenseitiges Vertrauen basieren. Dies basiert auf Geben und Nehmen und den Fünfer auch mal grad sein lassen.
Das Frischfleisch findet in unserem Fall vor allem Abnahme bei gewerblichen Metzgereien in der ganzen Schweiz. Die Fleischspezialitäten gelangen in den übrigen Lebensmittel-Detailhandel. Die Metzgereien schätzen unsere hohe und konstante Produkte- und Servicequalität. Dazu gehören neben den sensorischen Produkteeigenschaften auch das Vermeiden von Saftverlust, Farbgebung und Aussehen des Produkts. Beim Service sind Aspekte wie Warenverfügbarkeit, Flexibilität und Liefergenauigkeit sowie das Eingehen auf Sonderwünsche wichtig. Wir verstehen uns je länger desto mehr als verlängerte Werkbank der Metzgereien. Als solche sind wir bereit für unsere Kunden eine Extrameile zu gehen, damit die Metzgereien ihrerseits im hartumkämpften Wettbewerb ihre Nische behaupten können.
Wie reagieren Sie auf die veränderte Markt- und Konsumentwicklung?
Der Lebensmittel-Detailhandel kennt Bigler als Vollsortimentsanbieter. Hier stehen offenkundig Produkte- und Servicequalität im Vordergrund. Bigler ist nicht in der Masse aktiv und strebt somit nicht die Preisführerschaft an. Wir suchen vielmehr die Nische etwa mit wertschöpfungsintensiveren Fleischspezialitäten mit höherem Anteil Handarbeit kombiniert mit innovativen Verpackungen. Dort wo möglich, wollen wir mit Regionalität oder Herkunftsgarantie auftrumpfen – wie mit unserer Tessiner Manufaktur für lokale Spezialitäten wie Salami, Rohschinken und Trockenfleisch in Davesco bei Lugano.
Der Wettbewerb ist hart und nimmt stetig zu. Wenn wir als unabhängiges Familienunternehmen gut gedeihen wollen, müssen wir eine Spur wendiger, innovativer und sorgfältiger sein als das Gros der Mitbewerber. Vor gut 10 Jahren begannen wir, zusätzlich Sandwiches mit Fleischbeilagen herzustellen. In der Zwischenzeit haben wir ein eigenes Werk für die Sandwich- und Salatherstellung bezogen. Rein vegetarische und vegane Kreationen ergänzen längst die klassische Sandwichpalette. Dies ist ein weiterer Ausdruck unserer Wendigkeit des Bestrebens, unser Geschäft auf ein breites Fundament zu stellen.
Was sind die wichtigsten Praxisbeispiele im Zusammenhang mit der Milch- und Fleischwirtschaft?
Sehr wichtig ist in der Praxis die gute Kooperation aller beteiligten Parteien über die gesamte Wertschöpfungskette. Ohne gesunden und stabilen Milchmarkt gibt es auf die Dauer keinen gesunden Fleischmarkt für die Gattung Kuh, Kalb und Rind. Milch und Fleischwirtschaft sind miteinander verknüpft und bilden quasi eine Symbiose. Milchkühe geben nur Milch, wenn sie Kälber zur Welt bringen. Kälber brauchen die Muttermilch für ein gesundes Wachstum. Der Druck auf die Milchpreise führt zu tieferen Kuhbeständen und somit zu weniger Kälbern sowie in der Folge zu weniger Rindern. Zudem steigen die Preise für die verbleibenden Kühe. Kuhfleisch ist wichtig für die Produktion gewisser Spezialitäten wie Rohwurst und Salami oder auch Bündnerfleisch. Kuhfleisch wird zudem gerne zur Hamburgerherstellung verwendet.
Welche Stellung nimmt die Tierhaltung und damit die Fleischbranche für die Schweizer Landwirtschaft ein?
Eine sehr wichtige Stellung – rund 50 Prozent des bäuerlichen Einkommens. Zwei Drittel der Fläche wächst ausschliesslich Gras, deren Bewirtschaftung und Nutzung nur dank Tierhaltung möglich ist. Schweizer Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, ist ohne Fleischwirtschaft undenkbar. Oft unterschätzt wird der Beitrag zur Landschaftspflege und das Landschaftsbild. Das strenge Schweizer Tierschutzgesetz schützt das Wohlergehen und die Würde unserer Tiere und geniesst international Vorbildcharakter auch mit Bezug auf die Branchenprogramme im Bereich Tiergesundheit und Tierhaltung und Auslaufbestimmungen. Rund ein Drittel der produzierenden Betriebe erfüllt über die gesetzlichen Grundlagen hinaus reichenden Anforderungen.
Stichwort «Koppelprodukt Kalbfleisch»: Welche Anforderungen müssen für die Lebensmittelverarbeitungs- und Gastronomie-Branche erfüllt sein?
Kalbfleisch ist eine hochpreisige Spezialität. Es ist zart, fettarm und bekömmlich. Es enthält viel Eiweiss sowie wertvolle Vitamine, Eisen und Zink. Starke Nachfrage durch Gastronomie sowie vermehrte Nachfrage nach Fleischwaren ohne Schweinefleisch stützt den Bedarf zusätzlich. Zudem steigt die Nachfrage an Feiertagen wie Ostern und Weihnachten stark.
Aufgrund der relativ hohen und je nach Nachfrage schwankenden Preise ist auch der Qualitätsanspruch entsprechend hoch. Kalbfleisch muss sich vom Rindfleisch klar unterscheiden vor allem bezüglich Zartheit, Fettgehalt und Farbe. Aus unserer Sicht stimmt die Gleichung «mehr Tierwohl – dunklere Farbe» nicht grundsätzlich. Wir haben zusammen mit unseren Partnern Lösungen gefunden, wie einerseits das Tierwohl weiter erhöht und gleichzeitig die gewünschte Fleischfarbe gewonnen werden kann. Das Kalbfleisch-Image als gesundes und wichtiges Schweizer Koppelprodukt aus der Milchwirtschaft muss weiterhin aktiv bearbeitet werden.
Besteht betreffend der Labelprogramme noch Steigerungspotenzial?
Es besteht noch erheblich «Luft gegen oben». Aber Achtung – jede Art zusätzlicher Anforderungen an die Haltung oder Fütterung hat höhere Kosten zur Folge. Dessen sollten wir uns alle bewusst sein und bei den Kaufentscheidungen auch entsprechend handeln.
Erfahrungsgemäss führen schärfere Anforderungen betreffend Tierschutz aber auch Umweltschutz kaum zu einem grösseren Mengenabsatz. Der Fleischkonsum in der Schweiz liegt mit durchschnittlich rund 50 kg pro Kopf und Jahr im internationalen Mittelfeld. Die Mengen sind offenbar unabhängig von der Produktionsmethode seit Jahren sinkend. Die Verschiebung zu einer vermehrt pflanzlichen Ernährung wird sich absehbar weiter verstärken.
Image, Preis und Qualität von Kalbfleisch: Was hat sich im Verlauf der letzten Jahre verändert – was heisst dies für die Zukunft?
Der Konsum von Kalbfleisch ist in den letzten 10 Jahren rund um einen Drittel gesunken. Dies im Gegensatz zum Rindfleisch. Gründe aus Sicht Bigler ist vor allem Tierethik inkl. Thema Tiergesundheit und Preis. Das Bewusstsein und die Sensibilität zu diesen Themen haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Aktuell zudem besonders problematisch wegen der Corona-Krise mit entsprechender Schliessung der Gastronomie. Auswärts wird bedeutend mehr Kalbfleisch gegessen als zu Hause. Somit fällt einer der Hauptkunden zusätzlich weg. Dies macht die Situation für alle Marktteilnehmer sehr schwierig.
Gibt es heute den klaren Unterschied zwischen «Dorfmetzger» und industrieller Verarbeitung noch?
Oh ja, zum Glück, ich bin ein Fan der «Dorfmetzger». Ohne gewerbliche Metzgereien wäre die kulinarische Vielfalt viel kleiner. Der Metzger produziert oft nach seit Generationen übermittelten Rezepten. Der regional verwurzelte Metzger kann die regionalen Vorlieben und Spezialitäten aufnehmen und herstellen. Ein guter Metzger stimmt die Lagerung und Reifung der Produkte nach den persönlichen Präferenzen seiner Kunden ab. Der Metzger ist zudem ein guter Berater. Er findet für jeden Anlass und jede Stimmung das passende Stück Fleisch und macht auch auf weniger gefragte Teilstücke aufmerksam. Diese sind qualitativ nicht minder wertvoll aber oft deutlich preiswerter. Vielen Konsumenten ist dabei gar nicht bewusst, dass es dies alles zu einem guten Preis gibt. Fleisch vom Metzger ist nicht teurer als anderswo – oft ist gar das Gegenteil der Fall.