Wer sich mit den in der Schweiz und EU geltenden Regelungen beschäftigt, wird feststellen, dass diese überschaubar sind. In der Theorie ist das einfach:
Es gibt spezifische und unspezifische Claims. Die Verwendung der spezifischen gesundheitsbezogenen Angaben ist zulässig, soweit die Angaben zugelassen sind. Der verwendete Claim muss zudem dem vorgegebenen Wortlaut entsprechen. Und dann gibt es noch die sagenumwobenen unspezifischen Claims, welche nur gemacht werden dürfen, wenn ihnen eine zugelassene Angabe beigefügt ist. Folglich müssen die unspezifischen Angaben inhaltlich von dem zugelassenen Claim gedeckt sein. Alle Angaben, die darüber hinausgehen, sind schlicht verboten. So weit so gut. Doch was sich in der Theorie einfach anhört, sieht in der Praxis ganz anders aus. Die Verordnung lässt den Anwender mit sehr vielen offenen Fragen zurück. Was sind denn unspezifische Claims? Was bedeutet Vorteil für «gesundheitsbezogenes Wohlbefinden»? Die HCVO 1924/2006 schweigt hierzu. Auch die Gerichte tun sich schwer. Bestes Beispiel ist der aktuelle Fall Schwabe/Queisser (Bundesgerichtshof I ZR 162/16). Nach einer langen Reise durch alle Instanzen und einem Zwischenstopp bei dem EuGH hat der BGH nun (endlich) der Klägerin Recht gegeben (25.06.2020). Die Entscheidungsgründe liegen jedoch noch nicht vor.
Auf der Vorderseite der Verpackung des «Doppelherz aktiv Ginkgo + B‑Vitamine + Cholin» findet sich die Auslobung «B‑Vitamine und Zink für Gehirn, Nerven, Konzentration und Gedächtnis»; auf der Rückseite u.a. die zugelassene Angabe für Zink, das «einen Beitrag zur normalen kognitiven Funktion» leiste. Der BGH (12.7.2018, I ZR 162/16) ging von einem zulässigen Verweis auf einen allgemeinen Vorteil im Sinne von Art. 10 Abs. 3 HCVO aus. Die behaupteten Wirkungen seien nicht auf bestimmte Nährstoffe oder sonstige Lebensmittelbestandteile bezogen.
Gerade dies begründet jedoch die Unzulässigkeit der Angaben: eine gesundheitsbezogene Angabe, die nicht erkennen lässt, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben die behauptete Wirkung eines Produkts beruht, ist mit den zugelassenen Angaben nicht inhaltsgleich und daher unzulässig (BGH «Repair Kapseln», 7.4.2016, I ZR 81/15). In der Vorlage zum EuGH (EuGH 30.1.2020, C‑524/18) ging es um die Auslegung des «Beifügens». Die aufgeworfenen Fragen gehen jedoch an dem Kernpunkt des Falles vorbei. Denn die eigentliche Frage dieses Falles ist: Decken die rückseitig abgedruckten Health Claims die vorderseitigen ab?
Dies ist fraglich. Gerade die Angaben «Gehirn» und «Gedächtnis» gehen weit über den vorgegebenen Wortlaut des zugelassenen Health Claims hinaus; die blosse Unterstützung kognitiver Fähigkeiten besagt noch lange nicht, dass damit zugleich die Fähigkeit einherginge, Bewusstseinsinhalte, Sinneswahrnehmungen oder psychische Vorgänge im Gehirn zu speichern, sodass sie bei geeigneter Gelegenheit ins Bewusstsein treten bzw. zurückgerufen werden können. In einer kryptischen Vorbemerkung wies der EuGH darauf hin, dass er nicht die Richtigkeit der vorgelegten Fragen prüft und beantwortete die Vorlagefragen wie folgt: «Beifügen» verlange eine räumliche Nähe oder unmittelbare Nachbarschaft zwischen spezifischen und unspezifischen Health Claims. Diese könne aber ausnahmsweise durch einen ausdrücklichen Hinweis erfüllt werden, wie einem Sternchenhinweis. Was der BGH daraus gemacht hat, bleibt noch abzuwarten. Dass der BGH in der Vorbemerkung des EuGH eine versteckte Botschaft sieht und von unzulässiger spezifischer Angabe ausgeht, ist unwahrscheinlich. Vermutlich wird der Beklagten das «Beifügen» zum Verhängnis. Damit würde der Fall jedoch ein Ende finden, welches die Verwirrung um die Heath Claims perfekt macht.
Polina Schnur
Rechtsanwältin bei meyer.rechtsanwalts GmbH, spezialisiert auf Lebensmittelrecht und naturwissenschafliches Know-how.